Biblisches Cherry picking für Anfänger

Beim Lesen einiger Diskussionen zwischen Christen und Nichtchristen, sowie eigenen Erfahrungen aus Diskussionen mit Religionsgegnern bin ich des öfteren auf folgendes Zitat aus der Bibel gestoßen:

Wenn aber die Wahrheit Gottes sich durch meine Unwahrheit als noch größer erweist und so Gott verherrlicht wird, warum werde ich dann als Sünder gerichtet?
(Römer 3,7 / Einheitsübersetzung)

Oft wird es mit dem Hinweis der Christentumskritiker gebracht, dass die Bibel hiermit Christen das Lügen erlauben würde, bzw. in etwas abgeschwächter Form, dass Lügen dann erlaubt ist, wenn man damit Gott verkündigt. Ein Beispiel aus dem Internet ist ein Artikel auf der Seite www.bibelkritik.ch, wo zu lesen ist:

Warum hätten ihre Schreiber nicht hinzufügen, streichen oder verbessern sollen? Der emsig missionierende Paulus selbst gab unverhohlen zu (Röm 3,7): „Wenn aber die Wahrheit Gottes durch meine Lüge herrlicher wird zu seiner Ehre, warum sollte ich dann noch als ein Sünder gerichtet werden?“ Die Schriften sollten mitreißen und überzeugen, mehr nicht.

Dass dies weit gefehlt ist soll gleich noch gezeigt werden. An diesem Zitat sollen aber vor allem zwei Prinzipien verdeutlicht werden, welche beim Studium der Bibel unumgänglich sind, aber von Kritikern schon mal ignoriert werden.

1. Ein Zitat nie aus dem Kontext reißen
Der Kommentar ist mit dem Wort „Cherry picking“ überschrieben. Die deutsche Entsprechung dafür wäre „Rosinen herauspicken“. Für das Thema Bibelauslegung ist hierbei folgendes gemeint: Jemand hat eine These und versucht sie mit der Bibel zu beweisen. Dazu reißt er ein Zitat aus dem Zusammenhang, so dass sich dessen Aussage ins Gegenteil verkehrt und bietet es zur Untermauerung seiner These an. Hiermit hat er dann schon all diejenigen überzeugt, welche sich nicht die Mühe machen das entsprechende Kapitel in der Bibel zu betrachten. Ein sehr simples Beispiel hierfür wäre folgendes:

Jemand möchte zeigen, dass man mit der Bibel beweisen kann, dass es keinen Gott gibt und begibt sich auf die Suche. Er wird auch bald einen passenden Satz finden. So heißt es in Psalm 14,1 wort-wörtlich:

Es gibt keinen Gott.
(Ps 14,1 / Einheitsübersetzung)

Also sagt die Bibel, dass es keinen Gott gibt, oder? Schaut man sich nur allerdings den Kontext des Zitates an,

1 [Für den Chormeister. Von David.] Die Toren sagen in ihrem Herzen: «Es gibt keinen Gott.» Sie handeln verwerflich und schnöde; da ist keiner, der Gutes tut. 2 Der Herr blickt vom Himmel herab auf die Menschen, ob noch ein Verständiger da ist, der Gott sucht.
(Ps 14,1-3 / Einheitsübersetzung)

so verkehrt sich diese Aussage plötzlich in ihr Gegenteil.
Sicherlich ist dieses Beispiel sehr simpel gewählt, aber es veranschaulicht das Grundvorgehen, so dass man das Prinzip nun auch auf Römer 3,7 anwenden kann:

5 Wenn aber unsere Ungerechtigkeit die Gerechtigkeit Gottes bestätigt, was sagen wir dann? Ist Gott – ich frage sehr menschlich – nicht ungerecht, wenn er seinen Zorn walten lässt? 6 Keineswegs! Denn wie könnte Gott die Welt sonst richten? 7 Wenn aber die Wahrheit Gottes sich durch meine Unwahrheit als noch größer erweist und so Gott verherrlicht wird, warum werde ich dann als Sünder gerichtet? 8 Gilt am Ende das, womit man uns verleumdet und was einige uns in den Mund legen: Lasst uns Böses tun, damit Gutes entsteht? Diese Leute werden mit Recht verurteilt.
(Römer 3,5-8 / Einheitsübersetzung)

Paulus sagt also genau das Gegenteil von dem aus, was ihm die Kritiker in den Mund legen. Es gibt keine Rechtfertigung für Lügen, auch dann nicht, wenn sie Gott vielleicht sogar dienlich wären. Paulus spricht hier vom Schicksal derer, die ihm derartiges nachsagen, nämlich die Verurteilung durch Gott und gibt keineswegs einen Freibrief zum Lügen.

2. Den Biblischen Gesamtzusammenhang im Auge behalten
Nicht immer erbringt das Lesen des kompletten Abschnittes aus dem ein Zitat genommen ist eine eindeutige Lösung für das Problem. Gehen wir daher davon aus, dass der Kontext von Römer 3,7 nicht derart eindeutig wäre, sondern vielleicht doch noch ein Schlupfloch für die Interpretation „Paulus erlaubt Lügen“ lassen würde. Hätte man dann eine Chance vernünftig zu entscheiden, ob nun Lügen für Gott erlaubt ist oder nicht? Ja, nämlich dann, wenn man sich die anderen Stellen im Neuen Testament bzw. in der Bibel ansieht, welche sich mit dem Thema Lügen beschäftigen. Vorranging natürlich solche Stellen, die von Paulus selbst stammen, denn derartige gibt es. So streitet er erstens ab selbst zu lügen

Gott, der Vater Jesu, des Herrn, er, der gepriesen ist in Ewigkeit, weiß, dass ich nicht lüge.
(2Kor 11,31 / Einheitsübersetzung)

und stellt zweitens die Lüge auf eine Stufe mit einigen anderen Vergehen:

Unzüchtige, Knabenschänder, Menschenhändler, für Leute, die lügen und Meineide schwören und all das tun, was gegen die gesunde Lehre verstößt.
(1Tim 1,10 / Einheitsübersetzung)

Auch lässt sich keine weitere Aussage von Paulus finden, welche die These stützen würde, er erlaube Christen in bestimmten Fällen zu lügen.

Fazit
Nach Anwendung der beiden beschriebenen Prinzipien kann die Behauptung sicher zurückgewiesen werden, dass sich aus Römer 3,7 herauslesen lasse, dass Christen in bestimmten Situationen die Unwahrheit sagen können. Es handelt sich schlicht und einfach um ein Zitat, welches aus dem Zusammenhang gerissen wurde. Schade, dass dies immer wieder passiert.