Wie Gott Jakob für einen Massenmord belohnt

Einleitung
Durch eine E-Mail wurde ich von jemanden auf eine pdf mit dem Titel „Die grausame Bibel“ aufmerksam gemacht. Sie kann als Dateianhang in einem Internetforum nach einer Registrierung heruntergeladen werden. Da die Urheberrechte nicht geklärt sind, wird hier kein seperater Download der Datei angeboten. In der angesprochenen E-Mail wurde gefragt, ob man die Aussagen des Dokumentes genauer untersuchen und diskutieren sollte. Da der Text fast 100 Seiten umfasst ist eine erschöpfende Diskussion aus Zeitgründen nicht möglich. Diese ist nach Ansicht des Autors allerdings auch nicht nötig, das sich „Die grausame Bibel“ durch ihr Vorgehen selbst als Diskussionsgrundlage disqualifiziert. Dies soll exemplarisch an einem kurzen Textausschnitt veranschaulicht werden. Ein Großteil des Textes begnügt sich damit biblische Geschehnisse zusammen zu fassen und zu „kommentieren“. Allerdings wurden in diese Zusammenfassungen schon Fehler integriert, die es nachher erleichtern eine vernichtende Kritik am entsprechenden Bibelabschnitt zu üben. In diesem Artikel soll der Textausschnitt aus dem Dokument besprochen werden, der sich mit der Bibelpassage 1. Mose 33-35 beschäftigt und mit den wirklichen Aussagen der Bibel (1. Mose 33-35) verglichen werden. Er findet sich im pdf-Dokument auf S. 16 bzw. 17.

Falsche Aussagen
Gehen wir den Text aus „Die grausame Bibel“ Schritt für Schritt durch:

Jakob war mit seinem Gefolge aber noch lange nicht am Ziel. Sie waren erst in der Gegend von Sichem. Dort schlugen sie ein Nachtlager auf.

Hier findet sich bereits ein erster Fehler (der allerdings für die Gesamtaussage unwichtig ist): Jakob bleibt mit seinem Gefolge dort länger als nur eine Nacht, denn er erwirbt sich das Grundstück auf dem sie ihr Lager aufschlagen sogar:

18 Jakob gelangte, als er aus Paddan-Aram kam, wohlbehalten bis Sichem in Kanaan und schlug vor der Stadt sein Lager auf. 19 Das Grundstück, auf dem er sein Zelt aufspannte, erwarb er von den Söhnen Hamors, des Vaters von Sichem, für hundert Kesita. 20 Dort errichtete er einen Altar und nannte ihn: Gott, der Gott Israels. (1. Mose 33)

Größere Verdrehungen des biblischen Inhalts finden sich in den darauffolgenden Sätzen:

Leas Tochter Dina, ein frühreifes Mädchen, ging ein bißchen flanieren. Sie wackelte mit den Hüften. Sie brauchte ja nicht zu hinken wie ihr Vater. Und sie ließ auch eine Menge Bein sehen. Und die jungen Leute der Stadt entdeckten bald diesen steilen Zahn. Darunter war auch der Sohn des Hemor, der, wie die Stadt, Sichem hieß. Er stieg dem Mädchen nach, und sie waren sich bald einig, die Zweisamkeit hinter einem Busch zu suchen. Es war, wie Liebe auf den ersten Blick. Soweit, so gut. Aber, dachte das Mädchen danach, was wirst du jetzt von mir denken? Und erst meine Familie! Sie sagte deshalb ganz einfach, sie sei vergewaltigt worden

denn im Alten Testament steht:

1 Dina, die Tochter, die Lea Jakob geboren hatte, ging aus, um sich die Töchter des Landes anzusehen. 2 Sichem, der Sohn des Hiwiters Hamor, des Landesfürsten, erblickte sie; er ergriff sie, legte sich zu ihr und vergewaltigte sie. 3 Er fasste Zuneigung zu Dina, der Tochter Jakobs, er liebte das Mädchen und redete ihm gut zu. (1. Mose 34)

Es steht dort also weder etwas von Leas Alter, ihrem Reifegrad, noch von ihrem Erscheinungsbild. Auch geht aus dem Text klar hervor, dass von Einigkeit keine Rede sein kann. Es ist hier von Anfang an von einer Verwaltigung die Rede. Dina denkt sich also nicht aus um ihren Ruf zu schützen. Von einem Busch ist nebenbei bemerkt auch nirgendwo die Rede.

Weiter geht es dann in „Die graumsame Bibel“ mit:

Auch der junge Sichem hatte seinem Vater alles gestanden und, daß er dieses Mädchen und kein anderes zur Frau haben wolle. Darauf machte sich der Vater auf den Weg zum Lager des Jakob und klärte ihn über die Lage auf. Zwar runzelte der Jakob erst einmal die Stirn. Aber er witterte ein gutes Geschäft. Jakob stellte deshalb Bedingungen, von denen er hoffte, daß sie nicht angenommen würden. Er verlangte, daß alle Männer der ganzen Stadt Sichem sich beschneiden
lassen sollten, um dadurch die ehrliche Verbundenheit zu bezeugen.

und auch hier dauert es nicht lange, bis sich die Widersprüche zum biblischen Text auftun. Denn es ist nicht Jakob, der die Beschneidung aller Männer vorschlägt, sondern es sind seine Söhne:

13 Die Söhne Jakobs gaben Sichem und seinem Vater Hamor, als sie die Verhandlungen aufnahmen, eine hinterhältige Antwort, weil er ihre Schwester entehrt hatte. 14 Sie sagten zu ihnen: Wir können uns nicht darauf einlassen, unsere Schwester einem Unbeschnittenen zu geben; denn das gilt bei uns als Schande. 15 Nur unter der Bedingung gehen wir auf euren Vorschlag ein, dass ihr euch uns anpasst und alle männlichen Personen beschneiden lasst. (1. Mose 34)

Also konnte Jakob gar kein Geschäft wittern. Aber auch seine Söhne tun das nicht. Derjenige, der sich einen Vorteil aus der ganzen Sache erhofft ist Hamor selbst! Denn dieser spricht zu den Bewohnern, um sie von der Beschneidung zu überzeugen:

22 Allerdings wollen die Männer bloß unter der Bedingung auf unseren Vorschlag eingehen, mit uns zusammen zu wohnen und ein einziges Volk zu werden, dass sich bei uns alle Männer beschneiden lassen, so wie sie beschnitten sind. 23 Ihre Herden, ihr Besitz, ihr Vieh, könnte das nicht alles uns gehören? Gehen wir also auf ihren Vorschlag ein, dann werden sie bei uns bleiben. (1. Mose 34)

Also wurde auch hier die biblische Aussage vollkommen verdreht. Dies wird auch im nächsten Abschnitt nicht besser:

Alle männlichen Bewohner Sichems kamen zur großen Beschneidung ins Lager der Jakobiner, und es wurde für die einen lustig und für die andern schmerzlich drauflos geschnibbelt. Als am dritten Tag die Schmerzen am größten waren und sich keiner der Männer rühren konnte, fielen Jakob und seine Söhne Simeon und Levi mit ihren Schwertern über die friedliche Stadt her, ermordeten alles, was männlich war, auch Sichem und seinen Vater und nahmen ihre Dina wieder mit. Danach „durchsuchten“ Jakob und seine Bande die Leichen der Erschlagenen und plünderten die ganze Stadt.

Die Fehler dieses Abschnittes werden beim Lesen der Passage aus dem Buch Genesis offensichtlich:

25 Am dritten Tag aber, als sie an Wundfieber litten, griffen zwei Söhne Jakobs, Simeon und Levi, die Brüder Dinas, zum Schwert, überfielen ungefährdet die Stadt und brachten alles Männliche um. 26 Hamor und seinen Sohn Sichem machten sie mit dem Schwert nieder, holten Dina aus dem Hause Sichems und gingen davon. 27 Dann machten sich die Söhne Jakobs über die Erschlagenen her und plünderten die Stadt, weil man ihre Schwester entehrt hatte.

Nirgendwo ist die Rede davon, dass Jakob mit seinen Söhnen einfiel oder es ihnen zumindest befiehlt. Er selbst erfährt von diesem Ereignis erst im Nachhinein und reagiert schockiert:

30 Jakob sagte darauf zu Simeon und Levi: Ihr stürzt mich ins Unglück. Ihr habt mich in Verruf gebracht bei den Bewohnern des Landes, den Kanaanitern und Perisitern. Meine Männer kann man an den Fingern abzählen. Jene werden sich gegen mich zusammentun und mich niedermachen. Dann ist es vorbei mit mir und meinem Haus.

Jakob selbst hatte also nie vorgehabt die Stadt zu überfallen. Seine Söhne rügt er für diese Tat, der er offensichtlich nicht zustimmt. Aber „Die grausame Bibel“ begnügt sich nicht damit Jakob Zustimmung zu diesem Verbrechen zu unterstellen, sondern versucht es so hinzustellen, dass Gott selbst Gefallen daran gefunden habe:

Nach dieser frommen Tat erschien der HERR dem Jakob schon wieder und versicherte, daß er jetzt endgültig den Namen Israel verdient und sich so hinfort zu nennen habe.

Dieser Satz erweckt den Eindruck, dass Gott Jakob wegen der Handlungen bei Sichem segnen würde. Doch dies entspricht nicht der Wahrheit. Denn zwischen dem erneuten Segen, der in 1. Mose 35,9 beschrieben wird, und Sichem liegen einige weitere Handlungen (unter anderem der Bau eines Altares), was sich bei der Lektüre von 1. Mose 35,1-8 feststellen lässt. Dass Gott den Überfall gut heißt, der von Jakobs Söhnen begangen wurde, wird an keiner Stelle angedeutet, geschweige denn behauptet.

Fazit
Sicherlich ist klar, dass man durch das Herausgreifen einer einzigen Passage kein über 90 seitiges Dokument angreifen oder gar widerlegen kann. Es sollte hier lediglich exemplarisch gezeigt werden, wie dort mit der Bibel umgegangen wird. Der Leser sei eingeladen, sich durch Lektüre von „Die grausame Bibel“ und den entsprechenden Passagen in der Bibel selbst davon zu überzeugen, dass die hier beschriebene Vorgehensweise nicht nur in Bezug auf 1. Mose 33-35 verwendet wurde, sondern sich durch weite Teile des Textes zieht. So betreibt man sicherlich keine sachliche Religionskritik.

Worauf ritt ein Patriarch?

Einleitung
Im Abschnitt „Kamele: Erfundene >>Historie<<" werden im Lexikon der biblischen Irrtümer drei Behauptungen aufgestellt, mit deren Hilfe die Historizität der Erzählung um Josef (Gen. 37 – 50) in Frage gestellt wird. Alle Kritikpunkte betreffen so genannte Anachronismen. Unter einem Anachronismus versteht man eine zeitliche Unmöglichkeit. Zum Beispiel die Nutzung von Kanonen in Shakespeares Dramen über Römer, da es Kanonen zur Römerzeit nicht gab. (vgl. [2], S.40). Sämtliche Behauptungen finden sich auch in einem Artikel im Internet [6]. Der nachfolgende Beitrag soll diese Argumente auf ihre Stichhaltigkeit prüfen.

Es gab keine Kamele zur Zeit Josefs
Im Lexikon ist zu lesen, dass die Tatsache der Erwähnung von Kamelen eindeutig zeige, dass die Geschichte um Josef falsch sei, da diese erst nach 1000 v.Chr. in der Region verbreitet gewesen seien (S.79). Dazu beruft sich der Autor auf Israel Finkelstein:

Man betrachte zum Beispiel die wiederholte Erwähnung von Kamelen. (…) aber in der Geschichte von Josephs Verkauf in die Sklaverei durch seine Brüder (Gen. 37,25) werden Kamele als Lasttiere beschrieben, die man im Karawanenhandel verwendet. Dank archäologischer Forschung weiß man inzwischen, daß Kamele nicht vor dem ausgehenden 2. Jahrtausend gezähmt und im alten Voderen Orient erst weit nach 1000 v. Chr. allgemein als Lasttiere genutzt wurden ([1], S. 49, Hervorhebung nicht im Orginal).

In wie weit ist diese Behauptung zutreffend? Weiß man es wirklich ganz sicher? Tatsache ist, dass man seit dem Auftauchen dieses Arguments einige Entdeckungen gemacht hat, welche eine Alternative Sicht der Dinge durchaus zulassen. So listet Roland de Vaux in [3] etliche Indizien auf, welche darauf hindeuten, dass die Geschichte der Haltung von Kamelen sich von dem Bild unterscheiden könnte, dass Kamele erst ab dem Jahr 1000 gezähmt und gehalten wurden. Dazu zählen z.B. ein aus Kamelhaaren geflochtenes Seil aus der Epoche der dritten Dynastie in Ägypten ([3], S. 59) oder Knochen/Zähne von Kamelen in Gräbern der mittleren/früheren Bronzezeit in Syrien-Palästina ([3], S. 59).

Diese Funde bringen ihn am Ende seiner Ausführungen zu folgender Schlussfolgerung:

Diese Tatsachen führen zu einer abgestuften Schlußfolgerung: Das Kamel war zu Anfang der Geschichte in Mesopotamien und in Ägypten bekannt, dann scheint es fast vollständig verschwunden zu sein, und man beginnt erst wieder in Mesopotamien, Syrien und Palästina am Ende des 2. Jahrtausends von ihm zu sprechen (…) Zweifelsfrei ist es möglich, daß gewisse Erwähnungen in der Geschichte der Patriarchen redaktionelle Überarbeitungen sind, die eine Epoche widerspiegeln, in der dieses Tier mehr benutzt wurde (…) Unsere Belege, wie dünn sie auch gesät sind, erlauben anzunehmen, daß Abraham und Jakob Kamele besessen haben (…) ([3], S59f).

Auch der Ägyptologe Prof. Kenneth Anderson Kitchen vertritt eine ähnliche Sicht wie de Vaux:

Über lange Zeit hinweg spielte das Kamel im historischen Alten Vorderen Orient (einschließlich Ägypten) nur eine marginale Rolle, war aber nicht völlig unbekannt. Seine Erwähnung vor oder während dieser Zeit von 2000 bis 1100 v. Chr. stellt also keineswegs einen Anachronismus dar. (zitiert nach [2], S.41)

Zuletzt sei noch der Orientalist Dr. Martin Heide zitiert:

Tatsache ist, dass es schon seit einigen Jahren als sicher gilt, dass das Kamel lange vor 1000 v.Chr. im Nahen Osten domestiziert wurde. Viele Funde von Kamelbestattungen aus ältester Zeit sprechen sogar dafür, dass das Kamel möglicherweise schon vor dem 3.Jahrtausend v.Chr. als Lasttier verwendet wurde. ([4])

Zusammenfassend bleibt also zu diesem Abschnitt festzustellen, dass die Aussage, man wüsste sicher, dass Abraham keine Kamele besitzen konnte, wohl hinterfragbar ist. Es gibt durchaus Indizien, die eine Nutzung des Kameles lange vor 1000 v. Chr. nahelegen. Somit irrt die Bibel hier nicht zwangsläufig.

Philister kamen später
Ein weiterer Kritikpunkt des Lexikons an den Patriarchenerzählungen ist folgender:

Josephs Großvater Isaak besuchte laut Bibel den wohlhabenden >>Abimelech, König der Philister<<. Die Philister müssen also in nicht allzu großer Distanz von Isaak gelebt haben. Die Philister aber stammen aus der Ägäis oder dem östlichen Mittelmeer und kamen erst nach 1200 v. Chr. in die kanaanäische Küstenebene. Erst im 11. und 10. Jahrhundert blühten ihre Städte auf. (S.80)

Also anders formuliert: Hier wird ein Volk erwähnt, dass zu diesem Zeitpunkt noch nicht in erreichbarer Nähe zu Isaak gewohnt hat, also kann die Geschichte nicht wahr sein. Doch auch für dieses Problem gibt es durchaus Lösungsansätze. Eine sehr gute Zusammenstellung (auf der hier auch größtenteils aufgebaut wurde) findet sich auf [5]. Zuerst sei die Bibelstelle betrachet, die hier vom Lexikon angesprochen wird:

Im Land brach eine Hungersnot aus, eine andere als die frühere zur Zeit Abrahams. Isaak begab sich nach Gerar zu Abimelech, dem König der Philister. (Gen. 26,1)

Isaak zieht also zum Philisterkönig, weil er sich von ihm Hilfe verspricht. Dieser König bietet ihm sogar besonderen Schutz, obwohl Isaak ihn belogen hatte:

8 Nachdem er längere Zeit dort zugebracht hatte, schaute einmal Abimelech, der König der Philister, durch das Fenster und sah gerade, wie Isaak seine Frau Rebekka liebkoste. 9 Da rief Abimelech Isaak und sagte: Sie ist ja deine Frau. Wie konntest du behaupten, sie sei deine Schwester? Da antwortete ihm Isaak: Ich sagte mir: Ich möchte nicht ihretwegen sterben. 10 Abimelech entgegnete: Was hast du uns da angetan? Beinahe hätte einer der Leute mit deiner Frau geschlafen; dann hättest du über uns Schuld gebracht. 11 Abimelech ordnete für das ganze Volk an: Wer diesen Mann oder seine Frau anrührt, wird mit dem Tod bestraft. 12 Isaak säte in diesem Land und er erntete in diesem Jahr hundertfältig. Der Herr segnete ihn; (Gen. 26,8-12)

Dies steht im Gegensatz zu den Begegnungen von Israeliten und Philistern, von denen in den späteren Büchern der Bibel berichtet wird. Diese sind durchweg kriegerischer Natur und die Philister werden dabei negativ dargestellt. So werden sie unter anderem mehrfach als Strafe Gottes für die Sündhaftigkeit der Israeliten angesehen:

Deshalb entbrannte der Zorn des Herrn über Israel und er lieferte sie der Gewalt der Philister und der Ammoniter aus. (Ri 10,7)

oder

Die Israeliten taten wieder, was dem Herrn missfiel. Deshalb gab sie der Herr vierzig Jahre lang in die Gewalt der Philister. (Ri 13,1)

Die Philister bringen den Israeliten auch einige schwere Niederlagen bei und es gelingt ihnen sogar die Bundeslade, den Heiligsten Besitz der Israeliten zu erbeuten:

10 Da traten die Philister zum Kampf an und Israel wurde besiegt, sodass alle zu ihren Zelten flohen. Es war eine sehr schwere Niederlage. Von Israel fielen dreißigtausend Mann Fußvolk. 11 Die Lade Gottes wurde erbeutet und die beiden Söhne Elis, Hofni und Pinhas, fanden den Tod. (1.Sam 4,10-11)

Es wird also in den Richter-, Samuel- und Königsbüchern ein schlechtes Bild der Philister gezeichnet. Geht man davon aus, dass es sich bei Gen. 26 um einen Anachronismus handelt, muss man eine Erklärung dafür finden, wieso der biblische Autor, der diese Geschichte dann lange nach den Ereignissen aufgeschrieben hätte (weil er ja von den tatsächlichen Begebenheiten keine Ahnung zu haben scheint), über die er berichtet, Isaak gerade bei den Philistern Hilfe suchen lässt. Dies wirft zum ersten mal die Frage auf, ob es sich bei den Philistern aus Gen. 26 wirklich um das selbe Volk handelt, das später in der Bibel geschildert wird. Ein zweiter Unterschied zwischen den beiden Philistervölkern ist ihre Regierungsform. So spricht Gen. 26 von einem König der Philister, wohingegen später von mehreren (wenn quantifiziert. dann fünf) Fürsten der Philister die Rede ist:

Die Fürsten der Philister versammelten sich, um ihrem Gott Dagon ein großes Opfer darzubringen und ein Freudenfest zu feiern. (Ri 16,23)

oder

Darum kehr jetzt um und zieh in Frieden; so wirst du nichts tun, was den Fürsten der Philister missfällt. (1.Sam 29,7)

Dies ist ein zweites Indiz, welches andeutet, dass die Sache etwas komplizierter sein könnte, als lediglich auf einen Anachronismus zu verweisen. Als letzter Unterschied seien noch die Städte, welche die beiden Philistervölker bewohnten, betrachtet. Im Buch Genesis ist lediglich von Gerar die Rede (Gen 26,1 oder Gen 26,8). Später werden andere genannt:

vom Schihor-Fluss östlich von Ägypten bis zum Gebiet von Ekron im Norden – es wird den Kanaanitern zugerechnet -, die fünf Philisterfürsten von Gaza, Aschdod, Aschkelon, Gat und Ekron (…) (Jos 13,3)

Das sind die goldenen Geschwüre, die die Philister dem Herrn als Sühnegabe entrichtet haben: eines für Aschdod, eines für Gaza, eines für Aschkelon, eines für Gat, eines für Ekron (1.Sam 6,17)

Gerar taucht hier dagegen nicht mehr auf. Also ein drittes Indiz, das andeuten könnte, dass hier verschiedene Philister vorliegen. Wie lässt sich dies nun erklären? Hierzu wurden unter anderem drei Vorschläge gemacht (Details und Literaturhinweise auf [5]):

  1. Ursprünglich stand an der Stelle in Gen. 26 eine andere Bezeichnung für das Volk, bei dem Isaak Zuflucht suchte. Ein späterer Abschreiber ersetzte diese Bezeichnung durch Philister, da diese mittlerweile dort angesiedelt waren.
  2. Philister war ein allgemeiner Begriff für Völker, die vom Meer her kamen und an der Küste ansiedelten.
  3. Einige wenige Siedler aus der Ägäis wohnten bereits zur Zeit Isaaks dort und sind daher Philister

Eine eindeutige Klärung des Problems ist hier sicherlich nicht möglich. Dennoch kann die Aussage, dass es sich hier um einen Anachronismus handeln muss, in Frage gestellt werden.

Karawanengüter
Es wird ausgesagt, dass die angeprochenen Handelsgüter Harz, Balsam und Myrrhe erst ab dem 8. Jahrhundert organisiert gehandelt wurden und es daher ein Anachronismus sei, dass die Karawane, die Josef mitnimmt, diese Güter bei sich führte (S. 80). Hierzu ist zu sagen, dass die Tatsache, dass der organisierte Handel erst später erfolgte nicht ausschließt, dass auch zuvor bereits mit diesen Waren gehandelt wurde. Myrrhe selbst wird zum Beispiel bereits 1600 v. Chr. im Ebers Papyrus erwähnt und war somit schon bekannt [7]. Somit ist durchaus zu erwarten, dass auch jemand damit Handel getrieben hat. Sicherlich ist das kein Beweis dafür, dass die in Gen. 26 erwähnte Karawane wirklich mit diesen Gütern ausgestattet war, aber definitiv verneinen, kann man diese Aussage auch nicht.

Ein Zusatz
Eigentlich sollte sich dieser Artikel mit dem Abschnitt aus dem Lexikon der biblischen Irrtümer beschäftigen. Allerdings ist in [6] ebenfalls noch eine Behauptung enthalten, die man so nicht stehen lassen kann. Denn dort heißt es:

Nachfahren Abrahams reisten aus ihrem neuen Land nach Ägypten, um Getreide zu kaufen. Dort bezahlten sie mit Metallgeld (1. Mose 42,25): „Und Josef gab Befehl, ihre Säcke mit Getreide zu füllen und ihnen ihr Geld wiederzugeben.“ Neueste Forschungen belegen aber eindeutig, dass die ältesten Münzen aus Kleinasien stammen und erst im 7. Jahrhundert v. Chr. verwendet wurden. [6]

Denn auch zu dieser Aussage hat Dr. Martin Heide in [4] Stellung bezogen:

Das in 1 Mose 42,25 verwendete hebräische Wort entspricht unserem deutschen Wort für Silber, nur dass es in der Mehrzahl steht. Wörtlich übersetzt heisst es so viel wie “Silberstücke”; meistens wird es mit ”Geld” übersetzt. Würde man die Logik des “Spiegel” weiterverfolgen, dann waren wahrscheinlich auch die Keilschrifttexte aus der antiken Stadt Ugarit des 14. Jahrhunderts v.Chr. in Wirklichkeit erst im 7.Jh.v.Chr. geschrieben, denn in diesen Texten (im Keret-Epos) taucht die dem AT genau vergleichbare Form auf, nämlich ”Silberstücke”. Aber mit Silberstücken ist weder in Ugarit noch im 1.Buch Mose Münzgeld gemeint, sondern Gewichtseinheiten von Silber, die fest definiert waren und als Bezahlungseinheit dienten – sozusagen die Vorstufe unserer Münzen. [4]

Also liegt hier lediglich eine Fehlübersetzung bzw. eine Übersetzungsschwäche vor; in gewissem Sinn auch Haarspalterei der Bibelkritiker, aber kein Fehler in der Bibel.

Schlussfolgerungen
Die Nutzung von Kamelen und Silbereinheiten zur Zeit der Patriarchen stellt keinen Anachronismus dar. Es gibt Hinweise von außerbiblischen Quellen, dass beides in dieser Zeit in Gebrauch war. Die Erwähnung der Philister im Buch Genesis lässt durchaus andere Deutungen zu, als dass es sich hier um einen Irrtum der Bibel handeln muss. Die im Zusammenhang mit Josef beschriebene Karawane hatte laut der Bibel durchaus Güter dabei deren Handel erst später richtig aufblühte. Dass bereits schon damals mit ihnen (gelegentlich) gehandelt wurde ist aber nicht auszuschließen, da sie schon bekannt und in Gebrauch waren.

Quellen:
[1] I. Finkelstein und N. A. Silbermann, „Keine Posaunen vor Jericho“, dtv, 3. Auflage, 2006
[2] M. Schäller, „Abraham hatte kein Kamelproblem“ in Factum 2/09
[3] Roland de Vaux, „Die hebräischen Patriarchen und die modernen Entdeckungen“, St. Benno, 1960
[4] http://www.jesus.ch/index.php/D/article/45/5853/ , (Zugriff 26.05.2009)
[5] http://www.tektonics.org/lp/oldphilistines.html
[6] http://www.bibelkritik.ch/bibelkritik/a4.htm
[7] http://www.bibeloele.de/html/12_ole_der_bibel.html#Myrrhe

Vegetarier oder nicht. Ist das hier die Frage?

Im Abschnitt „Vegetarismus: Widersprüchliches und Irrtümer“ werden im Lexikon der biblischen Irrtümer einige Behauptungen aufgestellt, die im Folgenden dargelegt und kritisch analysiert werden sollen.

Zum einen wird Gott unterstellt, er gebe den Menschen widersprüchliche Anweisungen (S. 149). So sagt Gott zu Adam und Eva in Genesis 1,29:

29 Dann sprach Gott: Hiermit übergebe ich euch alle Pflanzen auf der ganzen Erde, die Samen tragen, und alle Bäume mit samenhaltigen Früchten. Euch sollen sie zur Nahrung dienen. (Gen 1)

zum anderen spricht er zu Noach und seinen Söhnen folgendes:

3 Alles Lebendige, das sich regt, soll euch zur Nahrung dienen. Alles übergebe ich euch wie die grünen Pflanzen. (Gen 9)

Also wie es das Lexikon behauptet „widersprüchlich“ bzw „teilweise unverständlich“ (S. 149)? Wohl kaum. Gott behauptet an keiner Stelle, dass seine erste Anweisung sich vegetarisch zu ernähren für alle Ewigkeit bestehen soll und unabänderlich wäre. Die vegetarische Ernährungsweise, die Gott Adam und Eva im Garten Eden auferlegt, ist nachvollziehbar, weil der Tod kein Bestandteil der ursprünglichen Schöpfung war. Da mit dem Sündenfall der Tod in der Welt Einzug hielt, konnte später allerdings auch der Verzehr von Tieren erlaubt werden. Ein Widerspruch ist das allerdings nicht.

Des Weiteren ist im Lexikon zu lesen:

Hasenbraten ist verboten, sagt die Bibel, angeblich weil der Hase ein Wiederkäuer ist, aber keine durchgespaltenen Klauen hat. Falsch: Der Hase ist kein Wiederkäuer. (S. 150)

Dass dieser so alte angebliche Widerspruch in der Bibel auch in einem Buch von 2003 nochmals im wahrsten Sinne des Wortes wiedergekaut wird ist bemerkenswert. Denn über ihn wurde schon soviel geschrieben und diskutiert, dass er eigentlich ad acta gelegt gehört. Da er scheinbar immer noch nicht aus der Welt zu sein scheint, seien hier nochmals kurz die wichtigsten Aussagen von Verteidigern der Bibel zu diesem Thema zusammengefasst.
Zuallererst sei festgestellt, dass die Bibel kein naturwissenschaftliches Buch ist und sie somit nicht im Fachjargon eines Biologen, sondern in der Alltagssprache der Menschen der damaligen Zeit verfasst wurde. Der Begriff Wiederkäuer wie wir ihn heute kennen existierte zur damaligen Zeit garnicht. Er wurde erst viel später definiert. Der in der Bibel erwähnte Wiederkäuer ist daher also vielmehr ein Tier, dass seine Nahrung mehrfach verdaut. Dies trifft auf den Hasen durchaus zu. Dieser schluckt einen Teil seiner Ausscheidungen ungekaut herunter und verdaut sie ein weiteres mal. Dieses Verfahren ist dem eines „tatsächlichen“ Wiederkäuers sehr ähnlich. Den Hasen also auf Grund dieser Beobachtung mit der Bezeichnung Wiederkäuer zu belegen ist daher durchaus nachvollziehbar und definitiv kein Widerspruch von Bibel und Naturwissenschaft. ([2],[3]). Aber das ist nicht alles, was das Lexikon bezüglich Hasen zu sagen hat. Es folgt:

Noch absurder wird es im fünften Buch Mose. Da heißt es: „Diese Tiere aber sollt ihr nicht essen unter denen die wiederkäuen und die gespaltene Klauen haben: das Kamel, den Hasen…“ Das ist gleich doppelt falsch: Der Hase ist kein Wiederkäuer und hat keine gespaltene Klaue. (S. 150)

Die Sache mit dem Wiederkäuer wurde bereits im obigen Abschnitt diskutiert. Jetzt zu der Frage, ob die Bibel dem Hasen wirklich gespaltene Klauen zuschreibt. Dazu seien verschiedene Übersetzungen von 5. Mose 14,7 betrachtet:

Diese Tiere aber sollt ihr nicht essen unter denen, die wiederkäuen und die gespaltene Klauen haben: das Kamel, den Hasen und den Klippdachs, die wiederkäuen, deren Klauen aber nicht ganz durchgespalten sind; darum sollen sie euch unrein sein. (Luther 1984)

Nur diese dürft ihr nicht essen von den wiederkäuenden und von denen, die mit gespaltenen und zwar aufgespaltenen Hufen versehen sind: das Kamel und den Hasen und den Klippdachs; denn sie käuen wieder, aber sie haben keine gespaltenen Hufe: unrein sollen sie für euch sein; (Rev. Elberfelder)

Von den Großtieren, die wiederkäuen oder ganz gespaltene Klauen haben, dürft ihr aber Folgende nicht essen: Kamel, Hase, Klippdachs. Sie sind zwar Wiederkäuer, haben aber keine gespaltenen Klauen. Sie sollen euch als unrein gelten. (Einheitsübersetzung)

Lässt die Lutherübersetzung noch ein Schlupfloch für die Deutung, dass Hasen hier gespaltene Klauen zu geschrieben werden, so geht aus Rev. Elberfelder und der Einheitsübersetzung hervor, dass nicht jedes Tier der folgenden Liste Wiederkäuer sein muss UND gespaltene Hufe hat, sondern zumindest eines von beidem. Auch sollte man bedenken, dass selbst wenn man davon ausgeht, die Bibel sei nicht Gotteswort man einem Schreiber, der ein derartiges Gesetzeswerk zu Stande bringt, soviel Intelligenz unterstellen darf, dass er nach der Beobachtung eines Hasen durchaus in der Lage ist zu wissen, dass dessen Klauen nicht gespalten sind. Mal davon abgesehen, dass dies in 3. Mose 11,6 auch ausdrücklich gesagt wird:

ihr sollt für unrein halten den Hasen, weil er zwar wiederkäut, aber keine gespaltenen Klauen hat;

Ein weiterer Punkt im Lexikon ist:

(…) und die Fledermaus wird als Vogel bezeichnet. Falsch: Die Fledermaus ist ein Säugetier. (S. 150)

Was hierbei erstaunlich ist: Sonst stürzt sich der Autor des Lexikons der biblischen Irrtümer auf jede Übersetzungsschwäche der Bibel, die er finden kann, doch diejenige, der hier vorliegt, wird von ihm ignoriert. Im hebräischen Text steht an der Stelle von Vogel das Wort oph [1]. Dieses bezeichnet fliegende oder flatternde Lebewesen. Hier werden Tiere also nicht nach der Gattung, sondern nach der Fortbewegungsart gruppiert und zur Gruppe der fliegenden Tiere gehört die Fledermaus sicherlich. Das hebräische Wort für Vogel wäre zippor. Doch auch hier gilt zu beachten: Die Bibel nutzt keine biologischen Fachterminini. Von daher dürfte man auch bei der Verwendung von zippor nicht erwarten, dass es Deckungsgleich mit der Bedeutung des Wortes Vogel ist, wie es heutzutage von einem Biologen bzw. Ornithologen verstanden wird.

Als letzte Aussage soll betrachtet werden:

Andere Tiere wiederum, die es auch nicht gibt, werden als erlaubte Speisen genannt: Tiere, die Flügel und vier Füße haben, die auf der Erde hüpfen. (S.150)

Dabei wird auf 3. Mose 11,21 verwiesen. Hierzu nun ebenfalls einige Anmerkungen. Hier wird wieder geschickt zitiert, um die Illusion zu schaffen, der Bibelautor habe sich hier Fabelwesen ausgedacht, denn die Stelle heißt im Zusammenhang:

20 Alle Kleintiere mit Flügeln und vier Füßen seien euch abscheulich. 21 Von diesen Kleintieren mit Flügeln und vier Füßen dürft ihr aber jene essen, die Springbeine haben, um damit auf dem Boden zu hüpfen. 22 Von ihnen dürft ihr die verschiedenen Arten der Wanderheuschrecke, der Solam-, der Hargol- und der Hagab-Heuschrecke essen. (3. Mose 11)

Der Autor hat also durchaus existente Arten vor Augen und nicht irgendwelche Phantasiegeschöpfe. Dass heißt, er hat sie auch schon mal gesehen bzw. ein Bild von ihnen im Kopf. Auch hier wird einem dem Schreiben mächtigen Menschen unterstellt, er sei nicht in der Lage die Beine eines Insektes auszuzählen. Muss man wirklich soweit gehen dem biblischen Autor Dummheit zu unterstellen? Dies ist unnötig. Denn auch hier gilt, was bereits oben geschrieben wurde: Es geht der Bibel nicht um wissenschaftliche Naturbeschreibungen, sondern sie möchte Beobachtungen möglichst bildhaft beschrieben. So auch hier. Die entsprechende Stelle in der Rev. Elberfelder Bibel übersetzt hier wohl etwas anschaulicher:

21 Nur dieses dürft ihr essen von allem geflügelten Kleingetier, das auf vieren geht: was Unterschenkel hat oberhalb seiner Füße, um damit auf der Erde zu hüpfen.

Wie bei den Fledermäusen geht es hier nicht um die Beschreibung von Tiergattungen, sondern um die Beschreibung der Fortbewegungsweise der Tiere. Hierzu sei nur beispielsweise ein Beitrag aus einem Internetforum zitiert [4]:

Es gibt geflügelte Insekten, z. B. die Bienen, Fliegen und Wespen, die mit ihren sechs Beinen genau gleich gehen wie vierbeinige Tiere. Andere Insekten, z. B. die Heuschrecken, sind mit zwei Sprungbeinen ausgestattet und brauchen die anderen vier Beine buchstäblich, um damit zu „gehen“

Auch zu einem Baby sagt man ja, dass es sich auf allen Vieren bewegt ohne, dass es in Wirklichkeit vier Beine hat. Natürlich kann man hier über Formulierungen streiten. Sicher ist aber, dass jeder, der bereits eine Heuschrecke erlebt hat, weiß, wie sie aussieht und dass dieser Abschnitt der Bibel nicht aussagen will, dass Insekten vier Beine besitzen.

Schlussbemerkungen
Auch in diesem Abschnitt des Lexikons der biblischen Irrtümer wird nicht vorurteilsfrei mit der Bibel umgegangen. Es werden aus Mücken Elephanten gemacht und Übersetzungsschwächen ignoriert, um der Bibel so Falschinformationen zu stellen, die aber an diesen Stellen nicht in ihr enthalten sind.

Quellen
[1] http://www.urzeitundendzeit.de/FAQ.html
[2] http://wort-und-wissen.de/index2.php?artikel=disk/d95/1/d95-1.html
[3] http://www.2jesus.de/bibel-faq/bibel-hase-wiederkaeuer.html
[4] http://it.answers.yahoo.com/question/index?qid=20080312071701AAvBBFF (Beitrag Mel v)