Vegetarier oder nicht. Ist das hier die Frage?

Im Abschnitt „Vegetarismus: Widersprüchliches und Irrtümer“ werden im Lexikon der biblischen Irrtümer einige Behauptungen aufgestellt, die im Folgenden dargelegt und kritisch analysiert werden sollen.

Zum einen wird Gott unterstellt, er gebe den Menschen widersprüchliche Anweisungen (S. 149). So sagt Gott zu Adam und Eva in Genesis 1,29:

29 Dann sprach Gott: Hiermit übergebe ich euch alle Pflanzen auf der ganzen Erde, die Samen tragen, und alle Bäume mit samenhaltigen Früchten. Euch sollen sie zur Nahrung dienen. (Gen 1)

zum anderen spricht er zu Noach und seinen Söhnen folgendes:

3 Alles Lebendige, das sich regt, soll euch zur Nahrung dienen. Alles übergebe ich euch wie die grünen Pflanzen. (Gen 9)

Also wie es das Lexikon behauptet „widersprüchlich“ bzw „teilweise unverständlich“ (S. 149)? Wohl kaum. Gott behauptet an keiner Stelle, dass seine erste Anweisung sich vegetarisch zu ernähren für alle Ewigkeit bestehen soll und unabänderlich wäre. Die vegetarische Ernährungsweise, die Gott Adam und Eva im Garten Eden auferlegt, ist nachvollziehbar, weil der Tod kein Bestandteil der ursprünglichen Schöpfung war. Da mit dem Sündenfall der Tod in der Welt Einzug hielt, konnte später allerdings auch der Verzehr von Tieren erlaubt werden. Ein Widerspruch ist das allerdings nicht.

Des Weiteren ist im Lexikon zu lesen:

Hasenbraten ist verboten, sagt die Bibel, angeblich weil der Hase ein Wiederkäuer ist, aber keine durchgespaltenen Klauen hat. Falsch: Der Hase ist kein Wiederkäuer. (S. 150)

Dass dieser so alte angebliche Widerspruch in der Bibel auch in einem Buch von 2003 nochmals im wahrsten Sinne des Wortes wiedergekaut wird ist bemerkenswert. Denn über ihn wurde schon soviel geschrieben und diskutiert, dass er eigentlich ad acta gelegt gehört. Da er scheinbar immer noch nicht aus der Welt zu sein scheint, seien hier nochmals kurz die wichtigsten Aussagen von Verteidigern der Bibel zu diesem Thema zusammengefasst.
Zuallererst sei festgestellt, dass die Bibel kein naturwissenschaftliches Buch ist und sie somit nicht im Fachjargon eines Biologen, sondern in der Alltagssprache der Menschen der damaligen Zeit verfasst wurde. Der Begriff Wiederkäuer wie wir ihn heute kennen existierte zur damaligen Zeit garnicht. Er wurde erst viel später definiert. Der in der Bibel erwähnte Wiederkäuer ist daher also vielmehr ein Tier, dass seine Nahrung mehrfach verdaut. Dies trifft auf den Hasen durchaus zu. Dieser schluckt einen Teil seiner Ausscheidungen ungekaut herunter und verdaut sie ein weiteres mal. Dieses Verfahren ist dem eines „tatsächlichen“ Wiederkäuers sehr ähnlich. Den Hasen also auf Grund dieser Beobachtung mit der Bezeichnung Wiederkäuer zu belegen ist daher durchaus nachvollziehbar und definitiv kein Widerspruch von Bibel und Naturwissenschaft. ([2],[3]). Aber das ist nicht alles, was das Lexikon bezüglich Hasen zu sagen hat. Es folgt:

Noch absurder wird es im fünften Buch Mose. Da heißt es: „Diese Tiere aber sollt ihr nicht essen unter denen die wiederkäuen und die gespaltene Klauen haben: das Kamel, den Hasen…“ Das ist gleich doppelt falsch: Der Hase ist kein Wiederkäuer und hat keine gespaltene Klaue. (S. 150)

Die Sache mit dem Wiederkäuer wurde bereits im obigen Abschnitt diskutiert. Jetzt zu der Frage, ob die Bibel dem Hasen wirklich gespaltene Klauen zuschreibt. Dazu seien verschiedene Übersetzungen von 5. Mose 14,7 betrachtet:

Diese Tiere aber sollt ihr nicht essen unter denen, die wiederkäuen und die gespaltene Klauen haben: das Kamel, den Hasen und den Klippdachs, die wiederkäuen, deren Klauen aber nicht ganz durchgespalten sind; darum sollen sie euch unrein sein. (Luther 1984)

Nur diese dürft ihr nicht essen von den wiederkäuenden und von denen, die mit gespaltenen und zwar aufgespaltenen Hufen versehen sind: das Kamel und den Hasen und den Klippdachs; denn sie käuen wieder, aber sie haben keine gespaltenen Hufe: unrein sollen sie für euch sein; (Rev. Elberfelder)

Von den Großtieren, die wiederkäuen oder ganz gespaltene Klauen haben, dürft ihr aber Folgende nicht essen: Kamel, Hase, Klippdachs. Sie sind zwar Wiederkäuer, haben aber keine gespaltenen Klauen. Sie sollen euch als unrein gelten. (Einheitsübersetzung)

Lässt die Lutherübersetzung noch ein Schlupfloch für die Deutung, dass Hasen hier gespaltene Klauen zu geschrieben werden, so geht aus Rev. Elberfelder und der Einheitsübersetzung hervor, dass nicht jedes Tier der folgenden Liste Wiederkäuer sein muss UND gespaltene Hufe hat, sondern zumindest eines von beidem. Auch sollte man bedenken, dass selbst wenn man davon ausgeht, die Bibel sei nicht Gotteswort man einem Schreiber, der ein derartiges Gesetzeswerk zu Stande bringt, soviel Intelligenz unterstellen darf, dass er nach der Beobachtung eines Hasen durchaus in der Lage ist zu wissen, dass dessen Klauen nicht gespalten sind. Mal davon abgesehen, dass dies in 3. Mose 11,6 auch ausdrücklich gesagt wird:

ihr sollt für unrein halten den Hasen, weil er zwar wiederkäut, aber keine gespaltenen Klauen hat;

Ein weiterer Punkt im Lexikon ist:

(…) und die Fledermaus wird als Vogel bezeichnet. Falsch: Die Fledermaus ist ein Säugetier. (S. 150)

Was hierbei erstaunlich ist: Sonst stürzt sich der Autor des Lexikons der biblischen Irrtümer auf jede Übersetzungsschwäche der Bibel, die er finden kann, doch diejenige, der hier vorliegt, wird von ihm ignoriert. Im hebräischen Text steht an der Stelle von Vogel das Wort oph [1]. Dieses bezeichnet fliegende oder flatternde Lebewesen. Hier werden Tiere also nicht nach der Gattung, sondern nach der Fortbewegungsart gruppiert und zur Gruppe der fliegenden Tiere gehört die Fledermaus sicherlich. Das hebräische Wort für Vogel wäre zippor. Doch auch hier gilt zu beachten: Die Bibel nutzt keine biologischen Fachterminini. Von daher dürfte man auch bei der Verwendung von zippor nicht erwarten, dass es Deckungsgleich mit der Bedeutung des Wortes Vogel ist, wie es heutzutage von einem Biologen bzw. Ornithologen verstanden wird.

Als letzte Aussage soll betrachtet werden:

Andere Tiere wiederum, die es auch nicht gibt, werden als erlaubte Speisen genannt: Tiere, die Flügel und vier Füße haben, die auf der Erde hüpfen. (S.150)

Dabei wird auf 3. Mose 11,21 verwiesen. Hierzu nun ebenfalls einige Anmerkungen. Hier wird wieder geschickt zitiert, um die Illusion zu schaffen, der Bibelautor habe sich hier Fabelwesen ausgedacht, denn die Stelle heißt im Zusammenhang:

20 Alle Kleintiere mit Flügeln und vier Füßen seien euch abscheulich. 21 Von diesen Kleintieren mit Flügeln und vier Füßen dürft ihr aber jene essen, die Springbeine haben, um damit auf dem Boden zu hüpfen. 22 Von ihnen dürft ihr die verschiedenen Arten der Wanderheuschrecke, der Solam-, der Hargol- und der Hagab-Heuschrecke essen. (3. Mose 11)

Der Autor hat also durchaus existente Arten vor Augen und nicht irgendwelche Phantasiegeschöpfe. Dass heißt, er hat sie auch schon mal gesehen bzw. ein Bild von ihnen im Kopf. Auch hier wird einem dem Schreiben mächtigen Menschen unterstellt, er sei nicht in der Lage die Beine eines Insektes auszuzählen. Muss man wirklich soweit gehen dem biblischen Autor Dummheit zu unterstellen? Dies ist unnötig. Denn auch hier gilt, was bereits oben geschrieben wurde: Es geht der Bibel nicht um wissenschaftliche Naturbeschreibungen, sondern sie möchte Beobachtungen möglichst bildhaft beschrieben. So auch hier. Die entsprechende Stelle in der Rev. Elberfelder Bibel übersetzt hier wohl etwas anschaulicher:

21 Nur dieses dürft ihr essen von allem geflügelten Kleingetier, das auf vieren geht: was Unterschenkel hat oberhalb seiner Füße, um damit auf der Erde zu hüpfen.

Wie bei den Fledermäusen geht es hier nicht um die Beschreibung von Tiergattungen, sondern um die Beschreibung der Fortbewegungsweise der Tiere. Hierzu sei nur beispielsweise ein Beitrag aus einem Internetforum zitiert [4]:

Es gibt geflügelte Insekten, z. B. die Bienen, Fliegen und Wespen, die mit ihren sechs Beinen genau gleich gehen wie vierbeinige Tiere. Andere Insekten, z. B. die Heuschrecken, sind mit zwei Sprungbeinen ausgestattet und brauchen die anderen vier Beine buchstäblich, um damit zu „gehen“

Auch zu einem Baby sagt man ja, dass es sich auf allen Vieren bewegt ohne, dass es in Wirklichkeit vier Beine hat. Natürlich kann man hier über Formulierungen streiten. Sicher ist aber, dass jeder, der bereits eine Heuschrecke erlebt hat, weiß, wie sie aussieht und dass dieser Abschnitt der Bibel nicht aussagen will, dass Insekten vier Beine besitzen.

Schlussbemerkungen
Auch in diesem Abschnitt des Lexikons der biblischen Irrtümer wird nicht vorurteilsfrei mit der Bibel umgegangen. Es werden aus Mücken Elephanten gemacht und Übersetzungsschwächen ignoriert, um der Bibel so Falschinformationen zu stellen, die aber an diesen Stellen nicht in ihr enthalten sind.

Quellen
[1] http://www.urzeitundendzeit.de/FAQ.html
[2] http://wort-und-wissen.de/index2.php?artikel=disk/d95/1/d95-1.html
[3] http://www.2jesus.de/bibel-faq/bibel-hase-wiederkaeuer.html
[4] http://it.answers.yahoo.com/question/index?qid=20080312071701AAvBBFF (Beitrag Mel v)

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