Ungerechter Umgang mit Dawkins?

In der Süddeutschen Zeitung erschien am 11. September ein Beitrag mit dem Titel Der „liebe Gott“ als blutrünstiges Ungeheuer, verfasst von Prof. Dr. Friedrich Wilhelm Graf von der Abteilung Systematische Theologie der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Darin geht er kritisch auf die religionskritischen Argumente von Richard Dawkins und Christopher Hitchens ein.
Der Atheistin und Biologin Sabine Schu ist dieser Beitrag natürlich ein Dorn im Auge, so dass sie ihn auf ihrem Blog sofort als Ad hominem herabwürdigt. Argumente für diese Bezeichnung bringt sie allerdings nicht, sondern verweist lediglich auf einen kurzen Kommentar der Webseite skepticker.org. Dieses Vorgehen erinnerte mich sofort an viele Beiträge von Martin Neukamm, auf dessen Hit-Liste der „am meisten verwendeten Wörtern“ Ad hominem relativ weit oben steht, aber das nur nebenbei.
Wie sieht es aber mit dem Gehalt des Skeptikerbeitrages aus? Im Vergleich zum Beitrag von Prof. Dr. Graf fällt schon beim ersten Blick auf, dass ersterer deutlich kürzer ist, aber das soll kein Ausschlusskritikerium sein. Frau Schu schreibt auch selbst, dass man sich nur die Rosinen herausgepickt habe.

Kapitel 1: Betreibt Graf Diffarmierung?
Das erste Zitat das vom SekptTicker moniert wird ist das folgende:

Richard Dawkins und Christopher Hitchens – ein biologistischer Hassprediger und ein liberaler Skeptiker greifen in ihren Büchern die Religion an.

was zum einen wie folgt kommentiert wird:

Das Attribut ‘biologistisch’ ist schon deutlich negativ konnotiert. Der durchschnittliche Leser soll hier wohl eine Nähe der Autoren zu sozialdarwinistischen Ansätze assoziieren.

Wie der anonyme Autor mit dem Nicknamen sehwolf zu dieser Aussage kommt, wird leider nicht weiter belegt. Fakt ist, dass biologistisch (bzw das dazugehörige Substantiv Biologismus) vom Ursprung her keineswegs negativ belegt ist. Es bezeichnet die philosophische Denkrichtung, dass alles seinen Ursprung im Organischen hat. Also auch das menschliche Verhalten, sein Denken und sein „Geist“ sind das Resultat biologischer Gesetze und Bedürfnisse. Könnte man das Weltbild eines Richard Dawkins besser beschreiben? Wohl kaum! Dass der Begriff einen negativen Beigeschmack hat, weil aus dem Biologismus ein Sozialdarwinismus abgeleitet wurde, kann man Herr Graf nicht zur Last legen. Also halten wir fest: Das Adjektiv biologistisch trifft auf Dawkins durchaus zu und hat mit Diffamierung nichts zu tun.

Das erste Zitat von Graf wird allerdings noch weiter kritisiert:

Weit schlimmer wiegt natürlich die Klassifikation als Hassprediger. Hassprediger, wie man hier nachlesen kann, sind Personen (…)

Wieso breche ich das Zitat ab? Weil der Rest des „Argumentes“ dadurch hinfällig wird, dass das „hier“, wo man die Definition nachlesen kann kein objektives Lexikon oder Wörterbuch ist, sondern ein Wiki, dass anscheinend vom Autor sehwolf selbst betrieben wird. Wie jeder Student (oder auch schon Schüler) lernt, ist ein Wikipedia-Eintrag nie eine zulässige Quelle um eine Aussage zu belegen. Wenn man dann noch sein eigenes Wiki zitiert bzw. zumindest eines, dass eine gewisse weltanschauliche Voreingenommenheit besitzt (in diesem Fall atheistisch), wird es allerdings noch absurder seine Aussagen mit derartigen Wiki-Beiträgen belegen zu wollen. Von daher besitzen die Aussagen von sehwolf:

Sicher, weder Hitchens noch Dawkins sind zimperlich, Hasspredigten noch sonstwie den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllende Äußerungen finden sich jedoch an keiner einzigen Stelle in ihren Büchern.

keine Überzeugungskraft. Außerdem wird nur Dawkins als Hasspredigier tituliert, so dass ein „Unschuldhinweis“ auf Hitchens hier nur zusätzlich falsche Eindrücke erweckt.

Kapitel 2: Streit um den Titel
„Kapitel 1“ ist somit abgehakt und bisher konnte sich Frau Schus Titulierung als Ad hominem bzw. die von sehwolf als Diffarmierung nicht bestätigen. Somit zum nächsten Abschnitt, bei dem sehwolf den Titel von Dawkins Buch unter die Lupe nimmt. Zunächst zitiert er dazu Graf:

In der britischen Debatte hatten mehrere prominente Seelenwissenschaftler darauf hingewiesen, dass “Wahn” ein psychiatrisch klar definierter Begriff ist und die pauschale Rede vom “Gotteswahn” nur wenig erklärt. Dawkins’ Botschaft lautet: Halte ein einzelner seine Einbildungen für objektiv wahr, diagnostiziere man Geisteskrankheit; teilten Kollektive den verrückten Glauben an übernatürliche Mächte, nenne man die Wahnvorstellung Religion.

ohne dies zu kommentieren setzt sehwolf ein von ihm übersetztes Zitat aus Dawkins Buch darunter:

Das Wörterbuch von Microsoft Word definiert Wahn als ‘das Festhalten an falschen Vorstellungen, trotz gegenteiliger Beweise, insbesondere als Symptom einer psychischen Störung’. Der erste Teil trifft Religon perfekt. Bei der Frage ob es das Symptom einer psychischen Störung ist, bin ich geneigt mich an Robert M. Pirsig zu halten, Autor von ‘Zen and the Art of Motorcycle Maintanance’ wenn er sagt: “Leidet eine Person an einem Wahn nennen wir es verrückt. Leiden viele an einem Wahn so nennen wir es Religion.”

Der Sinn hiervon leuchtet mir allerdings nicht ein. Wenn mir das jemand erklären kann, bitte bei mir melden. Ob jetzt das Microsoft Word Wörterbuch als verlässliche Quelle dienen kann, sei mal dahin gestellt. Auch liefert sehwulf mit diesem Zitat einen weiteren Beleg (neben denen die der Theologie selbst bring) für Prof. Grafs Aussage:

Solch krude Analogien verführen Dawkins dazu, selbst mit seinen ärgsten Feinden, den Kreationisten, gemeinsame Sache zu machen. Gegen all jene Religionsanalytiker, die religiöse Symbolproduktion und wissenschaftliche Theoriebildung strikt unterscheiden und deshalb die Fehden zwischen Schöpfungsgläubigen und Neodarwinisten für sachlich gegenstandslos halten, weiß er sich mit den Kreationisten darin eins, dass Glaube und Wissen denselben Deutungsanspruch erheben.

Denn wie sonst könnte man Beweise gegen den Glauben und Gott finden?
Ansonsten bestätigt doch das Zitat nur genau das was Graf über Dawkins Einsichten behauptet hat, bzw. dass er hier richtig zitiert hat. Von Diffarmierung keine Spur.

Kapitel 3: Sind das jetzt die Rosinen??
Nun folgt im SkepTicker-Artikel nur noch ein bruchstückhaftes Zitieren aus Prof. Dr. Grafs Beitrag:

Sein […] langweiliger Text […] In den eitlen Posen des alldeutenden Großaufklärers erinnert er […] prahlt mit seiner philosophischen Unbildung […] bietet er in ermüdenden Wiederholungen nur wenig Originelles […]

Herr Graf begründet diese Wertungen auf den drei Seiten seines Artikels. Dass Dawkins zu Wiederholungen tendiert ist auch nicht allein die Ansicht von Graf. Man lese Dawkins „Gotteswahn“ (oder auch andere seiner Bücher) oder wer nicht so viel Zeit/Geld hat überlfiege mal einige kritische Rezensionen des Buches. Die philosophische Unbildung wird von Graf auf Seite 2 übrigens ebenfalls erläutert:

Auch in der Kritik der alteuropäisch metaphysischen Gottesbeweise bleibt Dawkins weit unter dem Reflexionsniveau Humes oder Kants, die er dank mangelnder Quellenkenntnis für knallharte Atheisten hält.

So weit hat sehwolf vielleicht nicht gelesen, denn alle seiner Zitate stammen von Seite 1.

Kapitel 4: Zugeständnisse
In zwei Punkten muss ich sehwulf allerdings teilweise zustimmen. Zum einen wenn er das Zitat von Graf herausgreift:

Dies mag auch damit zusammenhängen, dass Dawkins’ Glaubenskritik von antijüdischen Begleittönen nicht frei ist.

und moniert, dass diese Aussage nicht begründet wird. Zu einer derartigen Behauptung gehören auch meiner Meinung nach Textbelege.

Das gleiche gilt für folgende Sätze von Graf:

Aber sind Atheisten immer “glücklich, ausgeglichen, geistig ausgefüllt” und “moralisch edel”?
[…]
Selbst die Vernichtungsexzesse in den totalitären Volksgemeinschaftslaboratorien des letzten Jahrhunderts schreibt Dawkins aufs Schuldkonto der Religion.

Auch hier fehlen eindeutig Zitate. welche dies unterstützen. Letzterer Aussage kann ich zwar prinzipiell zustimmen, allerdings muss ich heute Abend selbst auf die Suche nach der entsprechenden Textstelle begegeben.

Fazit
Prof. Dr. Grafs Beitrag hat eine Herabwürdigung als ad hominem sicher nicht verdient. Zugestehen muss ich seinen Kritikern allerdings, dass er nicht an allen Stellen wirklich methodisch sauber ist. Zu jeder Behauptung gehört eigentlich eine Quelle, was im vorliegenden Text leider nicht immer der Fall ist.

Irreduzible Komplexität und Wahrscheinlichkeit

Einleitung
In seinem Beitrag Irreduzible Komplexität und Wahrscheinlichkeit aus „Kreationismus in Deutschland“, welcher in Auszügen auf der Homepage der AG Evolutionsbiologie veröffentlicht wurde, setzt sich Martin Neukamm mit der Wahrscheinlichkeit auseinander, mit der Gene bzw. irreduzible Systemte evolutiv entstehen können und versucht die Argumente von Evolutionskritikern zu entkräften. Im folgenden soll sein Text näher untersucht und die Stichhaltigkeit der Argumente geprüft werden.

Die Entstehung von Genen
Bezüglich der Entstehung von Genen zitiert Neukamm aus „ARTBEGRIFF, EVOLUTION UND SCHÖPFUNG“ (V. 1.1 D) von W.-E. Lönnig (Zitat im folgenden etwas umfangreicher als bei Neukamm, damit die komplette Argumentation von Dr Lönnig erkennbar ist):

Über ein Drittel der Aminosäurenpositionen ist also bei den untersuchten Arten identisch. Da die Cytochrom-c-Moleküle der Wirbeltiere 104 Aminosäurenreste besitzen, sind mindestens 34 Positionen konstant. „Konstant ist weiter die Lage der Hämgruppe, die immer an den Aminosäurenresten 14 und 17 verankert ist“ (Remane/ Storch/ Welsch 1980, p. 67, in Übereinstimmung mit Geissler et al. oben). Da aber auch in den veränderlichen Regionen die Austauschbarkeit meist begrenzt ist, nehmen wir für das erste funktionsfähige Cytochrom-c-Molekül eine längere spezifische Sequenz an. Wie groß ist aber nur einmal die Wahrscheinlichkeit der zufälligen Entstehung eines Polypeptids mit 34 konstanten Positionen?

Die Antwort lauted: 1 : 20^34 = 1 : 171 798 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 und auf der DNA-Ebene (bei Einbeziehung von maximal 20 % neutralen Mutationen- was in Wirklichkeit zu hoch ist) 1 : 481 = 1 : 5 846 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000. Mit einem Wort: nach allen vorliegenden Daten zu glauben, dass ein solch spezifisches Molekül durch Zufall entstanden ist, ist eine Glaubensinvestition mit geringer Aussicht auf Kongruenz mit der Realität. Der gezielt-intelligente Ursprung solcher Sequenzen ist wahrscheinlicher.

und merkt dazu an:

Lönnig (1986) versucht die Situation so darzustellen, als sei die zufällige Entstehung (…), astronomisch unwahrscheinlich.

Anschließend kritisiert er die Annahmen, die Lönnig zu diesem Ergebnis führten. Diese Kritik ist größtenteils nachvollziehbar und Lönnigs Rechnung sicherlich angreifbar. Allerdings folgt im Anschluss an die Kritik:

Zu ähnlichen Einschätzungen bezüglich der Wahrscheinlichkeit funktionaler Proteine gelangen Junker und Scherer (2006, S. 126).

und weiter unten:

Diese Beispiele genügen, um zu demonstrieren, dass es nicht möglich ist, die Wahrscheinlichkeit eines evolutionären Ereignisses nach der „Kopf-Adler-Statistik“ eines Münzwurfspiels (Eigen 1983) abzuschätzen. Die Evolutionsgegner multiplizieren und potenzieren in einer Art und Weise, dass darüber die Voraussetzungen vergessen werden, unter denen solche Berechnungen aussagekräftig wären. Weitere Gegenargumente zu diesen Zahlenspielereinen finden sich bei Kutschera (2006, S. 248).

Er wirft also Lönnigs und Junker/Scheres Rechnung in einen Topf und verweist hier zusätzlich auf Ulrich Kutscheras Buch „Evolutionsbiologie“ wo der Autor angeblich weitere Gegenargumente liefern würde. Tut er das aber wirklich? Die Antwort lautet: Nein. In einem Beitrag auf der Homepage von Wort und Wissen setzt sich Reinhard Junker mit Kutscheras Behauptungen bzgl. Wahrscheinlichkeitsrechnung auseinander. Er schreibt dazu:

Er (Kutschera, mb) kritisiert dies (die Wahrscheinlichkeitsrechnung, mb) mit dem Hinweis, dass evolutionstheoretisch ja nicht angenommen werde, dass eine solche Abfolge in einem einzigen Schritt erreicht werden musste. Außerdem seien in der Evolution nicht von vornherein ganz bestimmte Abfolgen (spezifische Sequenzen) als Ziele vorgegeben gewesen, die dann zufälligerweise hätten erreicht werden müssen.

ähnlich argumentiert Neukamm in seinem Beitrag:

muss die Evolution auch kein bestimmtes Ziel „anvisieren“. Es genügt ja schon, wenn das Protein irgendeine Funktion als Elektronenüberträger (oder eine beliebige andere Funktion) besitzt, die den Organismen einen Überlebensvorteil bietet.

Den von Kutschera/Neukamm angemerkten Punkten ist auch zuzustimmen. Evolution visiert weder ein Ziel an noch darf angenommen werden, dass die heutigen komplexen Gene mit voller Funktion in einem Schritt enstanden sind. Die Sache hat nur einen Haken: Junker und Scherer haben in ihrem Lehrbuch nie etwas anderes behauptet, was Reinhard Junker auch ausdrücklich betont:

Dies ist genau die Kritik, die Scherer in seinem Buch auch darlegt, um anschließend einen ganz anderen Weg zu gehen; ebenso wird auch im „kritischen Lehrbuch“ vorgegangen. U. Kutschera hat die vorliegenden Ausführungen vollkommen verdreht wiedergegeben und behauptet das Gegenteil dessen, was dort tatsächlich gesagt wird.

Diese Aussage Junkers lässt sich durch Lesen von Abschnitt 9.4 „Entstehung einer molekularen Maschine durch Evolution“ im kritischen Lehrbuch ab Seite 155 leicht nachvollziehen.
So wie Kutschera in seinem Lehrbuch gibt auch Neukamm in seinem Beitrag die Aussagen von „Evolution – Ein kritisches Lehrbuch“ verdreht wieder und macht es sich somit einfach sie zu anzugreifen. Neukamm tut hier etwas, was er sehr gerne bei anderen moniert: Er baut sich ein Strohmann-Argument auf, dass sich leicht widerlegen lässt. Eine genauso beliebte wie unfaire Vorgehensweise.
In diesem Zusammenhang sei nochmal aus Junkers Widerlegung der Kutscheraargumente zitiert:

Das wiegt umso schwerer, als Herr Kutschera auf diese Verdrehung bereits im Jahr 2001 anlässlich der Herausgabe der 1. Auflage seiner „Evolutionsbiologie“ hingewiesen wurde.

Das heißt auch Neukamm weiß seit sechs Jahren was wirklich in „Evolution – Ein kritisches Lehrbuch“ steht.

Der Bakterienmotor
Den letzten Teil seiner Arbeit widment Neukamm der Diskussion der Entstehung des Baktierenmotors und beginnt diesen mit:

Auch die vielfach angestellten Berechnungen, die veranschaulichen sollen, dass komplexe Strukturen, wie z.B. ein Bakterienmotor (Abb. 5.5), kaum evolutionär entstehen können, gehen an der Sache vorbei. Denn was bedeutet überhaupt die Feststellung, dass ein solches Merkmal irreduzibel komplex sei? Doch nur, dass die schrittweise Entstehung der einzelnen Strukturproteine des Merkmals in Bezug auf die Endfunktion des Systems nicht positiv selektierbar ist.

Hierbei lässt er außer Acht (bzw. verschweigt es seinen Lesern), dass in „Evolution – Ein kritisches Lehrbuch“ ebenfalls erwähnt wird, dass man bei einem irreduzibel komplexen System nicht annimmt, dass alle seine Bestandteile gleichzeitig oder überhaupt von Grund auf neu evolviert sind:

Evolutionsbiologen nehmen an, dass die erforderlichen Motorproteine durch den Umbau von schon vorhandenen ähnlichen Proteinen mit einer vorher anderen Funktion erzeugt worden sind. (S.158)

Es werden auch Beispiele von Proteinen im IRC System Bakterienmotor genannt, die aus anderen System übernommen wurden, also schon vorhanden waren und nicht mehr neu entstehen mussten (S.158, 9.4.2). Die Behauptung „Doch nur, dass die schrittweise Entstehung der einzelnen Strukturproteine des Merkmals in Bezug auf die Endfunktion des Systems nicht positiv selektierbar ist“ wird nirgendwo aufgestellt.

Das bemerkenswerteste an Neukamms Auszug ist für mich allerdings die Schlusspassage, in der er ein hypotetisches Szenario von Matzke zur evolutiven Entstehung eines Bakterienmotors bespricht:

Etliche Annahmen konnten inzwischen durch eine Reihe empirischer Daten untermauert werden (s. z.B. Pallen und Matzke 2006). Obwohl das Modell einige spekulative sowie in Teilen falsche (!!!) Annahmen enthält und sicher noch viele Fragen unbeantwortet lässt, sollte deutlich geworden sein, dass es gegenwärtig keine ernstzunehmenden theoretischen Einwände gegen Makroevolution gibt, sondern nur offene Detailfragen.

Hervorhebungen von mir

Also nochmal langsam: Ich habe ein Modell, das auf spekulativen bzw. noch gravierender auf falschen Annahmen beruht und das trotzdem viele Fragen nicht beantworten kann. Dennoch soll dieses Modell bewirken, dass Zweifel an Makroevolution nicht mehr zulässig sind? Dieser Schlussfolgerung Neukamms kann ich nun wirklich nicht beipflichten.

Prof. Dr. Kutschera verbreitet im Stern Falschaussagen über die Studiengemeinschaft Wort und Wissen e.V.

In der Zeitschrift Stern (13/2007) erschien unter dem Titel „Der Schöpfer ist ein Käfermacher“ ein Interview mit dem Vorstand der AG Evolutionsbiologie Prof. Ulrich Kutschera. Darin machte er einige Äußerungen, die Studiengemeinschaft Wort und Wissen betreffend, die deren Vorsitzender Dr. Henrik Ullrich am 02.04.07 auf www.genesisnet.de kommentierte (1). Am 04.04.07 wurde auf der Homepage der AG Evolutionsbiologie von Martin Neukamm eine Stellungsnahme auf den Kommentar von Ullrich veröffentlicht (2).

Im Folgenden sollen die Aussagen des Interviews und der beiden oben genannten Texte gegenüber gestellt werden.

Der Hauptvorwurf
Hauptkritikpunkt ist der Vorwurf von Prof. Kutschera, dass ein Wort und Wissen Mitarbeiter einem Schulleiter angeboten habe, an die Schule eine Geldspende zu tätigen, unter der Auflage, dass die Schule in Zukunft das Buch „Evolution – Ein kritisches Lehrbuch“ von Junker/Scherer nutze. Kutschera läge ein Brief vor, der dies belege. Dr. Ullrich bestreitet die Existenz eines derartigen Briefes:

Ein Brief mit diesem Inhalt existiert nicht. (1)

Entgegen der Behauptung Kutscheras hat die Studiengemeinschaft „Wort und Wissen“ e.V. niemals Versuche unternommen oder gefördert, das Buch „Evolution – Ein kritisches Lehrbuch“ dadurch in Schulen einzuführen, dass den betreffenden Schulen Geldspenden angeboten werden. (1)

und erklärt ferner:

Richtig ist, dass ein emeritierter Physik-Professor dieses Buch in einer privaten Aktion als Geschenk angeboten hat. Der entsprechende Brief liegt der Studiengemeinschaft inzwischen vor. Darin wird keine Geldspende in Aussicht gestellt und es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Geschenk keinerlei Verpflichtung für die Schule beinhaltet. (1)

Der Hauptvorwurf von Kutschera wird also vollkommen zurück gewiesen. Tatsächlich gesteht Martin Neukamm in seinem Text ein:

Zu den genannten Vorwürfen ist zunächst festzustellen, dass in dem Interview (…) tatsächlich zwei irrtümlich erhobene Behauptungen abgedruckt wurden: Zwar liegt uns ein Brief vor, aus dem hervorgeht, dass ein Mitglied von Wort und Wissen einem Gymnasium ein kostenloses Exemplar des „evolutionskritischen Lehrbuchs“ von Junker und Scherer zur Verfügung stellte. Von Geldspenden ist dort aber nicht die Rede. (…) Wir bedauern diesen Irrtum und haben die Redaktion des „Stern“ bereits um eine Richtigstellung gebeten. (2)

Man darf gespannt sein, ob und wann diese Richtigstellung erscheinen wird.

Polemische Passagen in den Texten von Wort und Wissen
Dr. Ullrich wirft Kutschera bzgl. dessen Aussagen über die Publikationen von Wort und Wissen folgendes vor:

Entgegen der Darstellung von Prof. Kutschera existieren in den von der Studiengemeinschaft Wort und Wissen herausgegebenen Schriften keine Passagen, in denen Andersdenkende „arrogant und polemisch“ als „überheblicher Materialist“ oder gar als „Terrorist“ bezeichnet werden. (1)

Neukamm versucht daraufhin im Aufsatz von Dr. Reinhard Junker „Wissenschaft im Rahmen des Schöpfungsparadigmas“ (3) Passagen nachzuweisen, welche die Behauptungen von Kutschera unterstützen sollen. Über den Aufsatz schreibt er:

In diesem Artikel werden kreationismuskritische Argumente vielfach mit Vokabeln wie „grotesk“, „irreführend“, „abwegig“, „unsinnig“, „grob sinnentstellend“ und „faktisch leer“ belegt. (2)

Die von Neukamm monierten Begriffe, kommen in der 75 seitigen Arbeit jeweils einmal, „irreführend“ zweimal vor. Macht man sich die Mühe die Begriffe im Zusammenhang zu studieren, erweist sich Neukamms Behauptung als nicht haltbar. Zwei Beispiele sollen dies verdeutlichen:

Die Diskussion führt jedenfalls in die Irre, wenn die verwendeten Begriffe nicht einheitlich definiert werden. Und es ist irreführend, wenn Begriffe so verwendet werden, daß man den Gegner besser kritisieren kann. (3) (Hervorhebung von mir)

Hier geht es keinesfalls um ein „kreationismuskritisches Argument“, sondern es wird zu Recht eine Vorgehensweise kritisiert. Ähnlich verhält es sich auch bei folgender Passage:

Für Kritiker, die der biblischen Überlieferung keine Bedeutung beimessen, muß eine solche Vorgehensweise fremd und vielleicht auch unsinnig erscheinen. (3) (Hervorhebung von mir)

Auch hier geht es in keiner Weise um ein Argument von Kreationismuskritikern. Auf die gleiche Weise verhält es sich bei den anderen von Neukamm aufgezählten Begriffen: Liest man sie in ihrem Kontext, so schwebt Neukamms Vorwurf ohne Belege in der Luft.

Die Richtigstellung Neukamms, dass die Beleidigungen „überheblicher Materialist“ und „Terrorist“, nicht von der SG Wort und Wissen gekommen sind, sondern sich allgemein auf Kreationisten bezog, ist zwar zu begrüßen, doch Herr Ullrich stellt zu Beginn seines Textes treffend fest:

Da außer der SG Wort und Wissen e.V. keine andere evolutionskritische Gruppierung in dem von Christoph Koch geführten Gespräch genannt wird, müssen alle Aussagen Kutscheras aus der Perspektive des Lesers eine Bewertung der Studiengemeinschaft darstellen. Dieser Eindruck muss auch deshalb entstehen, weil Kutschera auf das von Wort und Wissen herausgegebene Buch „Evolution – ein kritisches Lehrbuch“ eingeht. (1)

Ullrich konstruiert also nicht wie es Neukamm behauptet einen Vorwurf, indem er zurück weist, dass Wort und Wissen nie derartige Äußerungen gemacht hat, denn beim Lesen des Interviews ist es für einen Unbeteiligten praktisch unmöglich herauszulesen, ob diese Begriffe nun von Wort und Wissen oder von „den Kreationisten“ im Allgemeinen getätigt worden sein sollen. Für „überheblicher Materialist“ fehlt allerdings jeder Quellenbeleg. Auch bei Terrorist lohnt es sich genauer hinzusehen: Kutschera wirft in seinem Interview den Kreationisten vor Andersdenkende als Terroristen zu bezeichnen. Doch Neukamm verweist auf einen Text von Dr. W.-E. Lönnig (4), in dem dieser ein Zitat von Dr. Werner Gieffers widergibt:

„Herr Kutschera suggeriert…, dass es „international akzeptierte Grundsätze der Naturwissenschaft Biologie“ gäbe, die einen Deutungsversuch von Herrn Lönnig verbieten würden. Diese Denkungsweise eines ideologischen Totalitätsanspruches erinnert an die terroristische Wissenschaftsauffassung kommunistischer Regime, ist aber in den westlichen Demokratien weltweit nicht erkennbar.“(4)

Dr. Gieffers fühlt sich auf Grund des Verhaltens einiger Mitglieder der AG Evolutionsbiologie an seine bitteren Erfahrungen aus der ehemaligen DDR zur Freiheit der Wissenschaft und der freien Meinungsäußerung erinnert – speziell im Zusammenhang mit den Verbotsanträgen Kutscheras zu Lönnigs Instituts-Homepage. Zwischen Alle Anderesdenkenden zu Terroristen machen und der Aussage Gieffers (die auch im Zusammenhang und im Hinblick auf dessen persönliche Erfahrungen gelesen werden muss) liegen Welten.

Somit ist die AG Evolutionsbiologie Dr. Ullrichs Forderung noch nicht nachgekommen:

Wir bitten Prof. Kutschera, uns entsprechende Nachweise zu nennen, damit wir uns ggf. von solcher Art der Auseinandersetzung distanzieren können. (1)

Ulrich Kutschera und das Christentum
In Vertretung für den Vorstand der AG Evolutionsbiologie schreibt Neukamm:

Damit kein falscher Eindruck entsteht: Weder der Vorsitzende noch die Mitglieder der AG Evolutionsbiologie verfolgen das Ziel, „Christen der Lächerlichkeit preiszugeben“. Falls die von U. Kutschera bemühte Analogie zwischen biblisch-schöpfungstheoretischer Argumentation und einem christlichen Arzt, der in seiner beruflichen Praxis auf göttliche Inspiration und Wunder vertraut, diesen Eindruck erwecken sollte, bedauern wir dies. (1)

Zumindest in Bezug auf Prof. Kutschera ist diese Aussage nicht glaubhaft. Aus seiner atheistischen Weltsicht hat er als Mitglied des wissenschaftlichen Beirates der Giordano Bruno Stiftung noch nie einen Hehl gemacht. Wer allerdings sein Buch „Streitpunkt Evolution“ gelesen hat, wird wohl Dr. Werner Gieffers zustimmen, der in einer Rezension über „Streitpunkt Evolution“ folgendes anmerkt:

In diesem Kontext steht auch in einem überaus großen Teil des Buches der Kampf des Autor gegen die Religionen, in erster Linie gegen das Christentum und speziell gegen die katholische Kirche, die er trotz aller Ablehnung als Befürworter für eine Evolution zu vereinnahmen und zu instrumentalisieren versucht. (5)

Besonderes Augenmerk sollte man auf die Seiten 92/93 und seine dortigen Äußerungen über den Schöpfungsbericht der Bibel legen. Ebenfalls interessant sind Kutscheras Ausführungen zum Thema „Ursprung der Religionen“. Bei einigen Passagen des Buches lässt sich meiner Meinung nach nicht ohne weiteres abstreiten, dass „Christen der Lächerlichkeit preisgegeben werden sollen“. Aber nicht nur der Text lässt derartige Schlüsse zu. Auch die neben dem Text dargestellten Bilder stimmen manchmal nachdenklich, was Kutscheras Meinung über Christen angeht. Dr. Gieffers fällt dies an mehreren Stellen seiner Rezension auf. Unter anderem nennt er folgendes Beispiel:

Auch interessiert nicht die Abbildung auf Seite 131, die die Huldigung der Weisen vor Maria mit dem Kind darstellt, zumal Kutschera daran nicht glaubt und gewiss nicht christliche Inhalte vorstellen will. Das Bild ist vollkommen bezugslos! Kutschera versucht nicht nur, den christlichen Glauben expressis verbis abzulehnen. Sehr häufig zieht er es vor, das Christentum ohne sprachliche Festlegung zu diffamieren, indem er solche Bilder zeigt, die durch ihre kitschige Darstellung den dargestellten Inhalt lächerlich machen soll. (5)

Wer also mehr über Kutscheras Beziehung zu Religion erfahren will, dem sei „Streitpunkt Evolution“ ans Herz gelegt. Wie ernst es der AG Evolutionsbiologie mit dem Bedauern bzgl. der Analogie mit dem christlichen Arzt ist, kann nicht beurteilt werden. Da es allerdings keineswegs der erste Vergleich dieser Sorte (die wie es Dr. Ullrich formuliert zumindest „beschämend“ sind) seitens Kutschera über Christen oder Evolutionskritiker ist, wirkt das Bedauern nicht wirklich ehrlich gemeint. Ebenfalls sei an dieser Stelle noch der folgenden Aussage von Herrn Ullrich zugestimmt:

Prof. Kutschera gibt im „Stern“-Interview als Strategie unserer vermeintlichen Angriffe gegen die Wissenschaft die Nutzung akademischer Titel von Evolutionskritikern an. Wir stellen fest, dass Prof. Kutschera seinen Professorentitel ohne Bedenken in den Dienst seiner religionskritischen Aktivitäten als Mitglied des wissenschaftlichen Beirates der atheistisch orientierten Giordano Bruno Stiftung stellt. (1)

Schlussbemerkungen
Nach der Gegenüberstellung bleibt festzuhalten, dass der Hauptvorwurf aus Kutscheras Stern-Interview auf falschen Aussagen beruht und den Sternlesern ein völlig falscher Eindruck über die Vorgehensweise der Studiengemeinschaft Wort und Wissen vermittelt wurde. Diesbezüglich bleibt zu hoffen, dass seitens des Sterns eine Richtigstellung erfolgt. Die anderen Kritikpunkte von Dr. Ullrich weist Neukamm in seiner Erwiderung zurück. Seine Begründungen dazu können allerdings an einigen Stellen nicht überzeugen.
Michael Burger

Quellen

(1)http://www.genesisnet.info/index.php?News=79

(2)http://www.evolutionsbiologen.de/genesis020407.html

(3)http://www.wort-und-wissen.de/index2.php?artikel=artikel/a02/a02.html

(5)http://www.dreilindenfilm.de/reaktionen/rez_gieffers.pdf