Wer tötete Goliat?

Einleitung
Im Lexikon der biblischen Irrtümer beschäftigt sich ein Artikel mit der Frage, ob David oder ein gewisser Elhanan den Riesen Goliat aus Gat tötete. Auch werden in diesem Abschnitt einige andere angebliche Widersprüche genannt. Diesen soll in diesem Text nachgegangen werden.

1. War Saul bei der Schlacht gegen die Philister tot oder lebendig?
Der erste Widerspruch, der postuliert wird, beschäftigt sich mit der Frage, ob König Saul bei der Schlacht, in der Goliat getötet wurde, noch am Leben oder bereits verstorben war. Dazu werden im Lexikon der biblischen Irrtümer zwei Bibelstellen zitiert:

2 Auch Saul und die Männer Israels sammelten sich; sie schlugen ihr Lager im Terebinthental auf und traten zum Kampf gegen die Philister an. (…) 11 Als Saul und ganz Israel diese Worte des Philisters hörten, erschraken sie und hatten große Angst.
(1 Samuel 17:2 und 17:11)

sowie

11 Als David erzählt wurde, was Rizpa, die Tochter Ajas und Nebenfrau Sauls, getan hatte, 12 holte er die Gebeine Sauls und die Gebeine seines Sohnes Jonatan von den Bürgern von Jabesch-Gilead, die sie heimlich vom Marktplatz in Bet-Schean weggenommen hatten, wo die Philister sie aufgehängt hatten, als sie Israel am Gilboa schlugen. 13 Er ließ also von dort die Gebeine Sauls und die Gebeine seines Sohnes Jonatan heraufbringen. Dann sammelte man die Gebeine der Hingerichteten ein 14 und begrub sie zusammen mit den Gebeinen Sauls und seines Sohnes Jonatan in Zela im Land Benjamin, im Grab von Sauls Vater Kisch. Man tat alles, was der König befohlen hatte, und Gott ließ sich daraufhin für das Land gnädig stimmen. 15 Wieder einmal kam es zum Krieg zwischen den Philistern und Israel. David zog mit seinen Leuten hinab. Als sie gegen die Philister kämpften, wurde David müde.
(2 Samuel 21:11-15)

Das Lexikon behauptet nun, dass Saul das eine mal bei der gleichen Schlacht noch am Leben gewesen ist, bei der anderen dagegen tot war. Dies könne nicht sein. Doch der angebliche Widerspruch ist gekünstelt, was man leicht nach Lektüre der beiden Bücher Samuels feststellen kann. Die erste Schlacht findet statt, während Saul König ist. David selbst ist ein einfacher Hirtenjunge, der von seinem Vater zum Heer geschickt wird, um nachzusehen, ob seine drei ältesten Söhne noch wohlbehalten sind. Die im zweiten Buch Samuels angesprochene Schlacht findet zu einem viel späteren Zeitpunkt statt. Saul ist bereits im Krieg gefallen und David zum König über Israel und Juda gesalbt. Da die Salbung Davids zum König von Israel erst über sechs Jahre nach der zum König von Juda durchgeführt wurde, wird hier eine Schlacht beschrieben, die mindestens sechs Jahre nach der Tötung Goliats stattfand. Vers 15 deutet auch schon an, was sich noch an anderen Bibelstellen festmachen lässt:

15 Wieder einmal kam es zum Krieg zwischen den Philistern und Israel.

In den beiden Samuelbüchern und dem ersten Buch der Chronik werden rund zehn Schlachten gegen die Philister erwähnt, mit denen sich Israel in einem langen Krieg befand. Es sei nur ein weiteres Beispiel genannt:

4 Danach kam es bei Geser wieder zum Kampf mit den Philistern. Damals erschlug Sibbechai aus Huscha den Sippai, der zu den Rafaïtern gehörte.
(1 Chronik 20:4)

Es lässt sich also feststellen, dass kein Widerspruch vorliegt. Die erste erwähnte Schlacht führt Saul selbst als König, die zweite sein Nachfolger David.

2. Der Kopf Goliats als Indiz?
Im Laufe des Abschnitts wird versucht die Tötung Goliats durch David als spätere Erfindung hinzustellen. Dazu wird der folgende Bibelvers zitiert:

54 David nahm den Kopf des Philisters und brachte ihn nach Jerusalem. Goliats Waffen aber legte er in sein Zelt.
(1 Samuel 17:54)

und erklärt:

Wer auch immer diesen Vers schrieb, kann keine Ahnung von den politischen Verhältnissen jener Zeit gehabt haben! David kann den abgeschlagenen Kopf Goliaths nicht nach Jerusalem gebracht haben, denn die Heilige Stadt war für David sozusagen Feindesland. Sie wurde von den Jebusitern beherrscht, diese hätten einem Anhänger Sauls den Zutritt verwehrt. (S. 57)

Die Aussage, dass Jerusalem zu dieser Zeit Feindesland war ist richtig. Es besteht dennoch kein Widerspruch. Der zitierte Vers sagt nicht aus, dass David den Kopf sofort nach der Schlacht nach Jerusalem brachte. Er wird am Ende des Kapitels sogar noch einmal erwähnt:

57 Als David zurückkehrte, nachdem er den Philister erschlagen hatte, nahm ihn Abner mit und führte ihn zu Saul. David hatte den Kopf des Philisters noch in der Hand.
(1 Samuel 17:54)

Es wird ein Vorausblick gegeben, dass David seine Siegestrophäe später nach Jerusalem bringen wird, nachdem er die Stadt eingenommen und zu seinem Regierungssitz gemacht hat (vgl. 2 Samuel 5).

3. Goliat, sein Bruder und andere Riesen
Der Punkt ist nun die Frage wer Goliat tötete. Ist dies nach 1 Samuel 17 der Hirtenjunge David, so liest man im zweiten Buch Samuel:

(…) erschlug Elhanan, der Sohn Jaïrs aus Betlehem, den Goliat aus Gat, dessen Speer einem Weberbaum glich.
2 Samuel 21:19

Diese Frage ist wohl nicht eindeutig zu beantworten, aber im Folgenden sollen einige Punkte aufgelistet werden, die andeuten, dass dieser Widerspruch vielleicht doch zu lösen ist. Als erstes sei hier eine Parallelstelle aus dem ersten Buch der Chronik genannt in der es heißt:

5 Als es wieder einmal zum Kampf gegen die Philister kam, erschlug Elhanan, der Sohn Jaïrs, den Lachmi, den Bruder Goljats aus Gat, dessen Speer einem Weberbaum glich.
1 Chronik 20:5

Diese Aussage wäre damit verträglich, dass David den Goliat tötete. Die Stelle wird im Lexikon der biblischen Irrtümer angesprochen, aber als verwirrend abgetan, weil im Folgevers ein weiterer Riese erwähnt wird, den Jonatan erschlägt. Ob jetzt drei erwähnte „Riesen“ (bzw. in 1 Chronik 20:6 ein Mann von riesenhafter Größe) verwirrend sind ist wohl persönliche Empfindung. In der Bibel werden hunderte von Personen und Orten genannt, weshalb sich Lexika zu biblischen Namen stets großer Beliebtheit erfreuen. Drei erwähnte Riesen in zwei Sätzen sind, verglichen mit anderen Stellen, überschaubar. Daher ist dies wohl kein Grund den Vers 1 Chronik 20:5 einfach beiseite zu schieben. Es gibt im Prinzip zwei Möglichkeiten: Entweder wurde 1 Chronik 20:5 nachträglich angeglichen/eingefügt um das Problem „David oder Elhanan“ zu entschärfen, oder bei 2 Samuel 21:19 schlich sich im Laufe der Abschreibvorgänge ein Fehler ein. Wie dieser ausgesehen haben könnte schildert Gleason Archer in seiner Encyclopedia of Bible Difficulties. Dort wird anhand des Masoretischen Textes erklärt, wie man durch kleine Undeutlichkeiten im Text vom Bruder Lachmi des Goliat auf die Herkunftsbezeichnung Der Bethlehemit [= aus Betlehem] kommen kann. Dort wird folgendes Fazit gezogen:

In other words, the 2 Samuel 21 passage is a perfectly traceable corruption of the original wording, which fortunately has been correctly preserved in 1 Chronicles 20:5. (S. 177)

Beweisen kann man dieses Szenario sicher nicht, aber es können einige Indizien können unterstützend aufgeführt werden. Würde man davon ausgehen, dass 1 Chronik 20:5 absichtlich angepasst wurde, um den Widerspruch zu beheben, dann stellt sich die Frage, wieso der Korrektor nicht auch 2 Samuel 21:19 veränderte. Durch eine Änderung von 1 Chronik 20:5 verschlimmert sich die Situation, anstatt das Problem zu lösen. Es ist unwahrscheinlich, dass die Passage so umgeschrieben wurde, um den Widerspruch zu lösen. Es ist daher wohl eher anzunehmen, dass sich in 2 Samuel 21:19 ein Fehler einschlich. Ein zweiter Punkt ist der Gesamtzusammenhang der Texte. Die Schlacht, in welcher David Goliat tötet, findet wie in Punkt 1 beschrieben, zur Regierungszeit Sauls im Terebinthental statt. Die erwähnte Tötung durch Elhanan ereignet sich dagegen zur Regierungszeit Davids. Man kann als Kritiker natürlich annehmen, dass die Bücher Samuels Flickwerk verschiedener Autoren sind und sich so erklären, dass Ereignisse chronologisch verschoben wurden, doch auch hierzu müssen Annahmen gemacht werden, welche genausowenig belegt werden können wie die Annahme, dass die Bücher die Ereignisse chronologisch korrekt wiedergeben. Unter diesem Blickpunkt fügt sich die Tötung eines Bruders von Goliat durch Elhanan problemlos in die Geschichte ein und man ist nicht darauf angewiesen unbekannten Autoren Motive zu unterstellen, warum sie die Goliatgeschichte auf David umgedichtet haben sollten.

Fazit
Das angebliche Problem aus Abschnitt 1 dieses Textes ist definitiv keines. Es ist klar von zwei unterschiedlichen Schlachten die Rede. Nach dem Lesen der Bücher Samuels ist dies augenscheinlich. Auch die scheinbare Unmöglichkeit den Kopf Goliats nach Jerusalem zu bringen lässt sich einfach auflösen. Komplizierter ist es dagegen bei der Frage wer nun Goliat wirklich besiegte. Eine endgültige Entscheidung muss hier offen bleiben. Vielleicht taucht eines Tages eine ältere Abschrift auf, die klären kann welche Passage im Laufe der Zeit eine Veränderung erfahren hat und ob es sich dabei um schlechte Harmonisierungsversuche oder Fehler beim Abschreiben handelt.

Hatte Abschalom Kinder?

Das Lexikon der biblischen Irrtümer entdeckt im Abschnitt mit dem Titel „Abschalom: Vierfacher Vater ohne Kinder“ für sich einen Widerspruch in der Bibel. Es würde zum einen behauptet, Abschalom habe vier Kinder und eine andere Stelle sage aus, dass er keine habe. Es ist zu lesen:

Wie viele Kinder hatte der Königssohn [Abschalom]? Es waren vier, sagt die Bibel. Er hatte überhaupt keine Kinder, sagt die Bibel auch. Der Widerspruch ist offensichtlich! (S. 15)

Dabei wird auf die folgenden beiden Passagen aus dem zweiten Buch Samuel Bezug genommen:

27 Drei Söhne wurden Abschalom geboren und eine Tochter namens Tamar; sie wurde eine Frau von großer Schönheit. (2. Samuel 14)

18 Abschalom hatte sich schon zu Lebzeiten den Gedenkstein, der jetzt im Königstal steht, herbeischaffen und für sich aufstellen lassen; denn er sagte sich: Ich habe keinen Sohn, der meinen Namen im Gedächtnis (der Menschen) halten würde. Er benannte den Stein nach seinem Namen; deshalb heißt er bis zum heutigen Tag «Abschaloms Hand» (2. Samuel 18)

Widerspricht sich die Bibel wirklich innerhalb des gleichen Buches in nur vier Kapiteln wirklich selbst?
Zuerst zur Rahmenhandlung. Abschalom ist einer der Söhne Davids. Dieser versucht auf Grund eines Konfliktes innerhalb der Großfamilie seinen Vater zu stürzen und stirbt schließlich bei einer Schlacht mit den Truppen Davids. Wie Kapitel 14 berichtet hatte er drei Söhne und seine Tochter Tamar. Das 18. Kapitel ist das Kapitel, das über den Tod Abschaloms berichtet:

14 Joab erwiderte: Ich kann mich nicht noch länger mit dir aufhalten. Und er nahm drei Spieße in die Hand und stieß sie Abschalom, der noch lebend an der Eiche hing, ins Herz. 15 Die zehn Waffenträger Joabs umringten Abschalom und schlugen ihn tot. 16 Dann ließ Joab das Widderhorn blasen und die Krieger hörten auf, die Israeliten zu verfolgen, weil Joab ihnen Einhalt gebot. 17 Sie nahmen Abschalom und warfen ihn im Wald in eine tiefe Grube und errichteten über ihm einen riesigen Steinhaufen. Alle Israeliten aber flohen, jeder in sein Zelt. (2. Samuel 18)

Auf diese Stelle folgt der vom Lexikon der biblischen Irrtümer zitierte Vers:

18 Abschalom hatte sich schon zu Lebzeiten den Gedenkstein, der jetzt im Königstal steht, herbeischaffen und für sich aufstellen lassen; denn er sagte sich: Ich habe keinen Sohn, der meinen Namen im Gedächtnis (der Menschen) halten würde. Er benannte den Stein nach seinem Namen; deshalb heißt er bis zum heutigen Tag «Abschaloms Hand» (2. Samuel 18)

Hier liegt also eindeutig ein Rückblick auf Abschaloms Leben vor. Dieser Rückblick geht in die Zeit zurück, in der Abschalom noch keine Kinder hatte. Damals sagte er sich diese Sätze und später wurde ihm dann doch das Vaterglück zu Teil. Die biblischen Berichte sind größtenteils von Rückgriffen und Ausblicken durchzogen, so dass nicht zwangsläufig das, was nacheinander geschrieben steht, auch in chronologischer Reihenfolge passierte. So auch hier. Die zeitliche Abfolge ist:

  1. Abschalom errichtet die Säule, da er keine Kinder hat.
  2. Die vier Kinder werden geboren.
  3. Abschalom wird getötet

Fazit
Hier liegt kein Widerspruch vor. Aus dem Zusammenhang gerissen mögen die beiden Verse den Eindruck erwecken, als widerspräche sich der biblische Bericht, doch im Kontext betrachtet findet sich in den Kapitel 13 – 18 des zweiten Buch Samuels eine schlüssige Beschreibung von Abschaloms Leben.

Fordert der biblische Gott Menschenofper?

Unter der Überschrift „Menschenopfer: Von Gott gefordert oder verboten?“ findet sich im Buch Lexikon der biblischen Irrtümer eine Diskussion der Frage, ob der Gott der Bibel Menschenopfer fordert. Das Kapitel nimmt dazu auf drei biblische Ereignisse bezug, um seine Folgerung zu stützen, dass die Sachlage nicht eindeutig sei. Nachfolgend sollen diese Stelle untersucht und die Schlussfolgerung der Uneindeutigkeit auf ihre Stichhaltigkeit geprüft werden.

Richter 11
Das erste Beispiel, das beschrieben wird, handelt vom Gileaditer Jiftach, der in eine Schlacht mit den Ammonitern zieht. Vor der Schlacht bittet er Gott um Beistand und gibt das Gelübde ab, im Falle eines Sieges den Menschen zu opfern, der ihm bei der Heimkehr als erster begegnet. Dies wird seine einzige Tochter sein, die er schließlich als Brandopfer darbringt. Der Abschnitt im Lexikon der biblischen Irrtümer schließt mit der Aussage:

Jahwe akzeptiert das Opfer. (S. 94)

Diese Aussage findet aber keine Bestätigung im entsprechenden Kapitel, denn dort heißt es am Ende:

34 Als Jiftach nun nach Mizpa zu seinem Haus zurückkehrte, da kam ihm seine Tochter entgegen; sie tanzte zur Pauke. Sie war sein einziges Kind; er hatte weder einen Sohn noch eine andere Tochter. 35 Als er sie sah, zerriss er seine Kleider und sagte: Weh, meine Tochter! Du machst mich niedergeschlagen und stürzt mich ins Unglück. Ich habe dem Herrn mit eigenem Mund etwas versprochen und kann nun nicht mehr zurück. 36 Sie erwiderte ihm: Mein Vater, wenn du dem Herrn mit eigenem Mund etwas versprochen hast, dann tu mit mir, was du versprochen hast, nachdem dir der Herr Rache an deinen Feinden, den Ammonitern, verschafft hat. 37 Und sie sagte zu ihrem Vater: Nur das eine möge mir gewährt werden: Lass mir noch zwei Monate Zeit, damit ich in die Berge gehe und zusammen mit meinen Freundinnen meine Jugend beweine. 38 Er entgegnete: Geh nur!, und ließ sie für zwei Monate fort. Sie aber ging mit ihren Freundinnen hin und beweinte ihre Jugend in den Bergen. 39 Als zwei Monate zu Ende waren, kehrte sie zu ihrem Vater zurück und er tat mit ihr, was er gelobt hatte; sie aber hatte noch mit keinem Mann Verkehr gehabt. So wurde es Brauch in Israel, 40 dass Jahr für Jahr die Töchter Israels (in die Berge) gehen und die Tochter des Gileaditers Jiftach beklagen, vier Tage lang, jedes Jahr. Die Richterzeit war eine Zeit der religiösen Anarchie, in der derartige Ereignisse leider vorkamen.
(Richter 11, Einheitsübersetzung)

Keiner dieser Sätze deutet darauf hin, dass Gott das Opfer akzeptiert oder gar Gefallen daran gehabt hat. Jiftach hat etwas versprochen und sich selbst dazu verpflichtet dies zu halten. Gott verband seine Unterstützung in der Schlacht zu keinem Zeitpunkt mit der Opferung eines Menschen. Nur weil hier ein Mensch glaubt, dass er Gottes Willen tut, bedeutet das nicht, dass dies auch der Wirklichkeit entspricht. Dies gilt für damals und heute. Auch die Bevölkerung scheint die Sache so zu sehen: Wenn man der festen Überzeugung gewesen sei, dass dies alles Gottes Wille gewesen ist, wäre dies sicher kein Grund jedes Jahr vier Tage lang dieses Unglück zu beweinen, dass sich vor ihren Augen abgespielt hat. Aus diesem Vers lässt sich nicht schließen, dass Gott Menschenopfer gutheißt oder gar fordert.

2 Könige 3
In der zweiten Stelle, die besprochen wird, ziehen die Könige von Juda, Israel und Edom vereint gegen den König von Moab in den Krieg, da dieser von Israels König abgefallen war. Mit Gottes Unterstützung nehmen sie alle Städte bis auf Kir-Heres ein. Mit den wohl letzten paar Soldaten, die ihm übrig bleiben, versucht der Moabiterkönig durch die feindlichen Linien zu brechen. Wohl ein Fluchtversuch.

26 Als der König von Moab sah, dass er dem Angriff nicht mehr standhalten konnte, sammelte er siebenhundert mit dem Schwert bewaffnete Männer um sich und versuchte beim König von Edom durchzubrechen. Doch es gelang ihnen nicht.

Als diese Aktion scheitert, bringt er aus Verzweiflung seinen Sohn als Opfer auf der Stadtmauer dar, worauf die feindlichen Streitkräfte abrücken:

27 Nun nahm er seinen erstgeborenen Sohn, der nach ihm König werden sollte, und brachte ihn auf der Mauer als Brandopfer dar. Da kam ein gewaltiger Zorn über Israel. Sie zogen von Moab ab und kehrten in ihr Land zurück.

Im Lexikon der biblischen Irrtümer wird dies wie folgt gewertet:

Das Opfer hilft mehr als erhofft. Kemos zwingt die Israeliten dazu, den Schauplatz ihres militärischen Sieges zu verlassen (…) Der Feind Israels besiegt das Volk Jahwes. Das Menschenopfer erweist sich als höchst wirksam. (S. 94)

Was ist hiervon zu halten? Zuerst sei festgestellt, dass das Volk Jahwes definitiv nicht besiegt wurde. Auf dem Weg nach Kir-Heres wurde die komplette Wasser- und Nahrungsversorgung der Moabiter lahmgelegt und das moabitische Heer vernichtend geschlagen. Dem König bleibt also nichts mehr übrig außer einer Stadt und einer Hand voll Soldaten. Auch wenn er von Israel abgefallen ist, stellt er daher für Israel und Juda keinerlei Gefahr mehr dar. Das Ziel des Feldzuges wurde erreicht. Angewiedert vom Menschenopfer eines verzweifelten Königs verlässt das Bündnis der drei Könige den Ort des Geschehens. Diese Handlung geschieht aus Zorn und evt. auch Mitleid und nicht aus Zwang. Kann also aus dieser Stelle gefolgert werden, dass Gott Menschenopfer braucht? Sicher nicht. Zum einen wird das Menschenopfer nicht einmal Jahwe dargebracht und zum anderen ist das einzige was es auslöst, wie oben ausgeführt, Zorn und Ekel beim Volk Jahwes. Also ein Zeichen dafür, dass Menschenopfer von Israel abgelehnt werden.

Genesis 22
Die letzte zitierte Bibelstelle stammt aus dem ersten Buch Mose. Gott fordert von Abraham seinen einzigen Sohn Isaak zu opfern. Doch bevor die Opferung durchgeführt werden kann, gebietet Gott Abraham Einhalt und Isaak bleibt am Leben. Schon der erste Vers des Kapitels sagt aus worum es hier eigentlich geht:

1 Nach diesen Ereignissen stellte Gott Abraham auf die Probe.

Abrahams Glauben soll geprüft werden. Das angebliche Menschenopfer ist nur der Rahmen der Prüfung. An dieser Stelle hätten auch andere Dinge stehen können, wie dass von Abraham verlangt wird seine Frau in die Wüste zu treiben, aber Gott dies im letzten Moment verhindert. Daraus könnte man auch nicht folgern, dass Gott von allen Männern fordert ihre Ehefrauen in die Wüste zu treiben.

Weitere Bibelstellen zu Menschenopfern
Das Lexikon zitiert noch das zwanzigste Kapitel des Buches Ezechiel:

24 weil sie meine Rechtsvorschriften nicht befolgten, meine Gesetze ablehnten und meine Sabbat-Tage entweihten und weil ihre Augen hinter den Götzen ihrer Väter her waren. 25 Auch gab ich ihnen Gesetze, die nicht gut waren, und Rechtsvorschriften, die es ihnen unmöglich machten, am Leben zu bleiben. 26 Ich machte sie unrein durch ihre Opfergaben; sie ließen nämlich alle Erstgeborenen durch das Feuer gehen. Ich wollte ihnen Entsetzen einjagen; denn sie sollten erkennen, dass ich der Herr bin. 27 Darum sprich zum Haus Israel, Menschensohn, und sag zu ihnen: So spricht Gott, der Herr: Eure Väter haben mich auch dadurch verhöhnt, dass sie mir untreu wurden.

um daraus zusammen mit Exodus 22,27-29 zu folgern, dass Gott Menschenopfer doch gefallen könnten. Allerdings lässt sich aus obiger Stelle ersehen, dass die Menschenopfer nicht gewollt sind, sonst würden sie nicht unrein machen. Durch die Opferung läd das Volk Schuld auf sich, was Gott in diesem Fall nicht verhindert, da sie immer wieder von ihm abgefallen sind, obwohl er ihnen stets eine neue Chance zur Umkehr bot (hierzu empfiehlt sich die vollständige Lektüre von Ezechiel 20). Dies ist aber defintiv etwas anderes als Menschenopfer fordern. Die Opferung der Erstgeboreren wird bereits in Exodus 34,19f verboten. Der Erstgeborene ist auszulösen und nicht selbst zu opfern, wie es in anderen Religionen der Umgebung Sitte war. Einige weitere Bibelstellen sprechen bzgl. Menschenopfern eine sehr deutlich Sprache:

17 Ihre Söhne und Töchter ließen sie durch das Feuer gehen, trieben Wahrsagerei und Zauberei und gaben sich dazu her zu tun, was dem Herrn missfiel, und ihn zu erzürnen. 18 Darum wurde der Herr über Israel sehr zornig. Er verstieß es von seinem Angesicht, sodass der Stamm Juda allein übrig blieb. 19 Doch auch Juda befolgte nicht die Befehle des Herrn, seines Gottes, sondern ahmte die Bräuche nach, die Israel eingeführt hatte. 20 Darum verwarf der Herr das ganze Geschlecht Israels.
(2 Könige 17)

Gott verachtet das Opfern von Menschen und bestraft diejenigen, die es trotz seinem Verbot durchführen.

Er tat nicht wie sein Vater David, was dem Herrn, seinem Gott, gefiel, 3 sondern er folgte den Wegen der Könige von Israel. Er ließ sogar seinen Sohn durch das Feuer gehen und ahmte so die Gräuel der Völker nach, die der Herr vor den Israeliten vertrieben hatte.
(2 Könige 16,3)

31 Wenn du dem Herrn, deinem Gott, dienst, sollst du nicht das Gleiche tun wie sie; denn sie haben, wenn sie ihren Göttern dienten, alle Gräuel begangen, die der Herr hasst. Sie haben sogar ihre Söhne und Töchter im Feuer verbrannt, wenn sie ihren Göttern dienten.
(Dtn 12)

Auch hieraus geht klar hervor, dass Menschenopfer durch Jahwe abgelehnt werden. Als letztes Beispiel noch eine Aussage aus dem Buch Jeremia:

33 Sie haben mir den Rücken zugewandt und nicht das Gesicht. Ich habe sie unermüdlich belehrt, aber sie hörten nicht darauf und besserten sich nicht. 34 Vielmehr stellten sie in dem Haus, über dem mein Name ausgerufen ist, ihre Scheusale auf, um es zu entweihen. 35 Sie errichteten die Kulthöhe des Baal im Tal Ben-Hinnom, um ihre Söhne und Töchter für den Moloch durchs Feuer gehen zu lassen. Das habe ich ihnen nie befohlen und niemals ist mir in den Sinn gekommen, solchen Gräuel zu verlangen und Juda in Sünde zu stürzen.

Fazit
Nach dem Untersuchen der oben stehenden Bibelzitate kann ich die Aussage im Lexikon der bilbischen Irrtümer

Wird das Menschenopfer von Gott gefordert oder abgelehnt? Eindeutig lässt sich diese Frage nicht beantworten. (S. 93)

nicht nachvollziehen. Die Bibel sagt eindeutig aus, dass Gott Menschenopfer ablehnt. Entscheidende Stellen werden im besprochenen Kapitel des Lexikons leider nicht zitiert.

Unsachliche Kritik?

Gestern fiel mir auf, dass der Autor des Werkes Lexikon der biblischen Irrtümer auf amazon.de auf meine Buchbesprechung geantwortet hat und versucht mir Falschaussagen nachzuweisen. Allerdings wird meine Rezension schon in der Titelzeile des Beitrages als unsachlich bezeichnet. Im Folgenden möchte ich kurz Stellung zu den Vorwürfen beziehen, die bzgl. meines Textes angebracht wurden. Hier der betroffene Auszug meine Beitrags:

Wie schon viele vor ihm verneint Langbein die Historizität vieler der in der Bibel geschilderten Ereignisse. Seine Aussagen stützen sich hierbei lediglich auf die Arbeiten von Israel Finkelstein. Werke die dessen sicht widersprechen werden nicht zitiert, eine objektive Darstellung bleibt also aus.
Des weiteren Versucht er verschiedene Bibelstellen gegeneinander auszuspielen und so innere Widersprüche in der Bibel der konstruieren. Viele dieser angeblichen Widersprüche wurden von Seiten der Theologen bereits diskutiert und Erklärungen geboten. Manchmal schießt er hierbei sicherlich auch weit über das Ziel hinaus: Dass im Buch mal von 23000 Toten die Rede ist, während an andere Stelle von 22XXX gesprochen wird ist für Langbein ein Widerspruch. Dabei sollte für jeden ersichtlich sein, dass bei der ersten Angabe schlicht und einfach aufgerundet wurde.
Beim Neuen Testament geht er ähnlich vor. Seine Hauptquelle dieses mal: Der Christentumskritiker Gerd Lüdemann. So findet sich in der Hälfte der Beiträge ein Zitat von Lüdemann, dass Langbeins Behauptung stützen soll. Auch hier von Objektivität keine Spur. Besonders putzig fand ich im Abschnitt 2 des Buches folgendes: Während Langbein die letzten Worte Jesus am Kreuz diskutiert, stellt er die Behauptung auf, dass es hierbei zu Verwechslungen kam, weil Jesus aramäisch Sprach, aber die Evangelien in Griechisch geschrieben wurden. An anderen Stellen dreht er dann genau den Spieß um: Da passt der Aramäische Text besser in sein Konstrukt und plötzlich liest man dann: Da die Evangelien ursprünglich in Aramäisch verfasst wurden, schlichen sich bei der Übersetzung ins Griechische weitere Irrtümer ein. Was nicht passt wird eben auch hier passend gemacht.
Ein letztes noch: Langbein spricht unentwegt von Irrtümern. Viele seine Kritiken beziehen sich allerdings auf Übersetzungen und dort auch nur auf bestimmte. Meistens nimmt er dabei die Übersetzungen vom Griechischen ins Lateinische ins Visier. Ein Übersetzungsfehler ist aber definitiv kein Irrtum der Bibel, genau wie ein Übersetzungsfehler in einem Lehrbuch kein Irttum von dessen Autor ist.
(Auszug aus meiner amazon-Rezension vom 27.8.2007)

Der Autor antwortete im zugehörigen Diskussionsforum, wobei der die nachfolgenden Aussagen tätigt, mit denen er versucht zu zeigen, dass meine Rezension Fehler enthalten würde.

Zuerst wir meine Behauptung aufgegriffen, dass sich der Autor bzgl. der Sprache widerspricht in der die Evangelien abgefasst wurden. Einmal nennt er Griechisch, ein paar Seiten weiter Aramäisch, um so angebliche Übersetzungsfehler zu finden. Meinem Text wird vorgeworfen:

Das hat nur nichts mit meinem Buch zu tun. (…) Der von Burger kritisierte »Widerspruch« existiert gar nicht. Richtig ist: Der aramäische Text passt immer besser. Allerdings habe ich nicht behauptet, dass die Evangelien ursprünglich in Aramäisch verfasst und dann lediglich übersetzt wurden. (…)

Doch wenn ich auf Seite 300 meiner gebundenen Ausgabe nachschlage steht dort:

Matthäus, Markus und Johannes verfassten ihre Texte nicht in griechischer Sprache, sondern in Aramäisch.

Hingegen findet man 15 Seiten zuvor auf Seite 285:

Jesus war Galiläer und sprach Aramäisch und nicht Griechisch. Die in Griechisch abgefassten Evanglien nach Matthäus und Markus versuchen (…)

Von daher ist für mich nicht nachvollziehbar was an meiner Aussage unsachlich ist. Ich finde sie durch diese beiden Zitate bestätigt.
Nächster Kritikpunkt an meiner Besprechung ist dieser:

Falsch ist die Behauptung, ich würde nur oder überwiegend Finkelstein und Lüdemann als Quellen benützen. Alle Quellen wurden korrekt angegeben, und es sind sehr viele.

Auf Silbermann/Finkelstein beruft sich der Autor dort wo es um Widersprüche zwischen archäologischen Entdeckungen und biblischen Texten geht. Im einzelnen sind dies:

  • Der Auszug aus Ägypten eine erfundene Story. Finkelstein wird auf Seite 22 zitiert.
  • David war weder mächtig noch fromm. Finkelstein wird mit Fußbnote 6 zitiert.
  • Jericho – Erdbeben statt Posaunen. Der angegebene Artikel von Saarland Online steht mir leider nicht zur Verfügung. Der Erscheinungstermin im Jahr 2002 passt aber zu den vielen anderen Artikeln mit änhlichen Titeln, welche in vielen Tageszeitungen und Magazinen erschienen sind und praktisch nur diverse Kapitel aus Keine Posaunen vor Jericho zusammenfassen, da das Buch 2002 ziemlich einschlug, aber eben auch nicht unwidersprochen blieb.
  • Kamele: Erfundene >>Historie<<. Fußnote 4 beruft sich auf Finkelstein.
  • Salomo, der Kleine. Hier gilt das gleiche wie bei Jericho – Erdbeben statt Posaunen

Hieraus folgte meine Aussage, dass Keine Posaunen vor Jericho die Hauptquelle für die Verneinung der Historizität der Ereignisse des Alten Testaments ist. Die sechs oben genannten Kapitel hatte ich unter die Kritik der Historizität gefasst. Das hätte ich in meiner Rezension evt. deutlicher machen sollen. Aber als falsch würde ich meine Aussage nicht werten.
Bei den Kapiteln zum Neuen Testament werden allein in den Fußnoten 13 mal Werke von Gerd Lüdemann zitiert, weshalb ich schrieb, dass dieser dort die Hauptquelle darstellt. Bei den zitierten Quellen finde ich (außer der Bibel selbst) keine, die ebenfalls auf 13 Nennungen kommt.
Beim letzten angesprochenen Punkt geht es um die Frage inwiefern ein Übersetzungsfehler nun ein biblischer Irrtum ist. Der Autor schreibt dazu:

Wenn ein biblischer Text falsch übersetzt wurde, dann ist das ein Irrtum: ihre Übersetzungen. Übersetzungsfehler sind Irrtümer in heutigen Bibelausgaben, also biblische Irrtümer.

Hier bitte ich den Leser selbst zu entscheiden, welche Position er einnimmt. Meine Ansicht habe ich in meiner Rezension dargelegt:

Ein Übersetzungsfehler ist aber definitiv kein Irrtum der Bibel, genau wie ein Übersetzungsfehler in einem Lehrbuch kein Irttum von dessen Autor ist.

Wenn sich zum Beispiel in der deutschen Übersetzung eines meiner Informatikfachbücher ein Übersetzungsfehler einschleicht, ist dies für mich weder ein Irrtum des Verfassers und erst Recht kein Irrtum der Informatik, sondern eben schlicht und einfach ein Übersetzungsfehler, der in der nächsten Auflage korrigiert werden sollte.

Fazit
Ich fand es schön, dass sich der Autor von Lexikon der biblischen Irrtümer die Mühe gemacht hat auf meine Rezension zu antworten. Ich behaupte nicht die Weisheit mit Löffeln gegessen zu haben, so dass meine Texte definitiv nicht fehlerfrei sind. Meinen Text allerdings als unsachlich oder gar Unsinn abzutun ohne stichhaltige Argumente dafür zu haben ist allerdings kein faires Verhalten.

Enuma Elish – Die Vorlage des Buches Genesis?

Einleitung
In diversen Büchern und auf einigen Internetseiten wird versucht eine Verbindung zwischen dem Babylonischen Schöpfungsmythos Enuma Elish und dem biblischen Schöpfungsbericht des Buches Genesis herzustellen. Teilweise werden nur oberflächliche Übereinstimmungen festgestellt, wohingegen vor allem christentumskritische Seiten folgendermaßen argumentieren:

Während der Babylonischen Gefangenschaft lernten die Israeliten die Babylonischen Mythen kennen und kopierten diese größtenteils zu ihrem Schöpfungsbericht, den wir heute im Buch Genesis finden. Er ist also nicht Wort Gottes, sondern ein Plagiat bei dem viele Verse einfach übernommen wurden.

In diesem Artikel sollen die beiden Berichte gegenübergestellt und versucht werden herauszufinden, inwieweit man von Übereinstimmungen sprechen kann und mögliche Gründe für deren Vorhandensein aufgeführt werden. Vorerst sei angemerkt, dass der Enuma Elisch nicht vollständig vorlag. Nach einer google-Suche bestand Zugriff auf die folgenden beiden Links:
Link 1
Link 2
sowie die wikipedia-Seite zum Enuma Elisch.

Der Enuma Elisch ist auf sieben Tafeln niedergeschrieben und besteht aus rund 1000 Zeilen. Die Texte der Tafeln 1, 4, 5 und 6 lagen in voller Länge vor. Für die Tafeln 2, 3 und 7 musste auf eine Inhaltszusammenfassung zurückgegriffen werden, was allerdings kein Problem darstellen sollte.

Der Vergleich
Zu den vollständig vorliegenden Tafeln zählt aber unter anderem die Übersetzung der Tafel mit welcher der Mythos beginnt. In der Übersetzung bekommt die Tafel mit der Nummer 1 den Titel „Das Chaos.“ Der Mythos beginnt mit:

1 Als droben die Himmel nicht genannt waren.
2 Als unten die Erde keinen Namen hatte,
3 Als selbst Apsu (Süßwasserstrom), der uranfängliche, der Erzeuger der Götter,
4 Mummu Tiâmat (Salzflut), die sie alle gebar,
5 Ihre Wasser in eins vermischten,
6 Als abgestorbenes Schilf noch nicht angehäuft, Rohrdickicht nicht zu sehen war,
7 Als noch kein Gott erschienen,
8 Mit Namen nicht benannt, Geschick ihm nicht bestimmt war,
9 Da wurden die Götter aus dem Schoß von Apsu und Tiâmat geboren.
10Lachmu, Lachamu traten ins Dasein, wurden mit Namen benannt.
11Äonen wurden groß und erstreckten sich lang,
12Anschar, Kischar wurden geboren, sie überragten jene,
13Die Tage wurden lang, die Jahre mehrten sich.
14Anu (Himmel) war ihr Sohn, ebenbürtig seinen Vätern.
15Anschar machte Anu, seinen Erstgeborenen, sich gleich;
16Anu erzeugte sein Ebenbild Nudimmud.
17Nudimmud war seiner Väter Herrscher.
18Umfassend an Wissen, weise, an Kräften gewaltig,
19Übertraf er bei weitem an Kraft den Erzeuger seines Vaters, Anschar.

Es folgen viele weitere Verse, welche die Beziehungen der Götter untereinander und vor allem ihre Streitereien und Kämpfe schildern. Zum Beispiel:

125 Als Tiâmat es hörte, gefiel ihr diese Rede.
126 «[…] gabt ihr. Laßt uns Ungeheuer schaffen.
127 […] die Götter inmitten der himmlischen Wohnung.
128 […] Laßt uns die Götter bekämpfen» […]

Es gehört sehr viel Phantasie dazu in diesen Schilderungen Parallelen zum Schöpfungsbericht der Bibel oder zum Alten Testament allgemein zu finden. Vor allem versuche man in der Bibel Passagen zu finden, in denen sich verschiedene Götter unterhalten oder miteinander kämpfen. Dort wird nur die Existenz eines einzigen Gottes bestätigt und das ist Jahwe, der Gott Israels. Diese Aussage steht im klaren Gegensatz zum babylonischen Schöpfungsmythos. Von „entnommen“ kann kaum die Rede sein. Des Weiteren fällt bereits nach diesen wenigen Zeilen auf, dass im Enuma Elish nicht nur jedem Lebewesen, sondern auch jedem Ding, insbesondere den Elementen, Persönlichkeit zugerechnet wird. So werden Süß- und Salzwasser mit den Göttern Apsu und Tiâmat assoziiert und auch deren spätere Vereinigung und Trennung bekommen dadurch eine „anschauliche“ Bedeutung. Eine Vorstellung, die der Bibel fremd ist bzw. konträr zu ihren Aussagen steht. Hierdurch wird auch die auf www.joerg-sieger.de genannte angebliche Parallele

Das Meer, das in zwei Teile geschieden wird

fragwürdig. Außerdem ist in der Bibel nicht von Süß- und Salzwasser die Rede, welche voneinander geschieden werden, sondern schlicht von einem Urozean deren Beschaffenheit nicht näher erläutert wird.
Ein Punkt bei dem ebenfalls ein großer Unterschied zur Bibel besteht ist die Tatsache, dass die Bibel Gott kein Aussehen verpasst, sprich nirgendwo beschreibt, wie er aussieht, da er keine menschenähnliche Gestalt besitzt. Ganz im Gegensatz dazu der Enuma Elish bei der Beschreibung des dort mächtigsten Gottes Marduk:

96 Wenn seine Lippen sich bewegten, erglühte Feuer.
97 Vierfach wuchs in ihm das Verständnis,
98 Und seine Augen ebenso erschauten alles.
99 Erhob er sich, so überstieg seine Gestalt die der Götter,
100 Mit riesenhaften Gliedern überragte er sie alle an Größe.

Die Tafeln 2 und 3 berichten nur über die Intrigen und Probleme zwischen den Göttern. Auch hier kann keine Übereinstimmung mit der Bibel gefunden werden. Diese Situation ändert sich auch nicht auf Tafel 4. Dort geht es unvermindert weiter mit Versen wie:

93 Indes die Götter des Kampfes ihre Waffen schärften.
94 Da traten zusammen Tiâmat und Marduk, der weiseste der Götter,
95 Stürzten sich aufeinander und begegneten sich im Kampf.

oder

129 Es stellte der Herr seinen Fuß auf Tiâmats Kreuz,
130 Mit seinem schonungslosen Dolch spaltete er ihren Schädel,
131 Durchschnitt ihre Adern,
132 Und der Nordwind entführte das Blut in die Ferne.

Auf Tafel 5 wird die Erschaffung der Welt durch Marduk beschrieben. Also eine Möglichkeit hierbei Parallelen zur Bibel auszumachen?
Es fällt sofort auf, dass die Chronologie des Enuma Elish und des biblischen Berichtes vollkommen voneinander abweichen. So beginnt die Passage im Enuma Elish mit:

1 Er ersann Standorte für die großen Götter.
2 In Sternbildern ordnete er ihre Entsprechungen, die Sterne.

Die Sterne werden also wie bei fast allen vorhandenen Schöpfungsmythen der Welt vor der Erde erschaffen. Im Gegensatz dazu die Bibel:

13 Es wurde Abend und es wurde Morgen: dritter Tag. 14 Dann sprach Gott: Lichter sollen am Himmelsgewölbe sein, um Tag und Nacht zu scheiden. Sie sollen Zeichen sein und zur Bestimmung von Festzeiten, von Tagen und Jahren dienen; 15 sie sollen Lichter am Himmelsgewölbe sein, die über die Erde hin leuchten. So geschah es.

Also erst nach der Erde und den Pflanzen werden die Sterne geschaffen. Wie oben angedeutet etwas völlig Neues in der Region von Babylon und sicher kein Diebstahl geistigen Eigentums von den biblischen Autoren aus dem Enuma Elish. Dass bei beiden Berichten natürlich Berge, Pflanzen, Tiere ect. geschaffen werden erkärt sich von selbst, da laut beiden Schöpfungsgeschichte alles auf der Welt Werk (eines) Gottes ist. Es sind aber weder Übereinstimmungen in der Formulierung noch in der Reihenfolge zu finden. Daher bleibt festzuhalten: geht man von einer göttlichen Schöpfung aus, so muss alles Getier und der Mensch Werk dieses Gottes sein. Derartige Sätze sind in praktisch jeder Schöpfungsgeschichte zu finden, woraus aber sicher nicht zu folgern ist, dass alle voneinander abgeschrieben wurden.

Am interessantesten von allen ist sicherlich die Tafel Nummer 6, da diese von der Erschaffung des Menschen berichtet. Finden sich nun hier Parallelen? Im Enuma Elish heißt es:

5 ‚Ein Gewebe von Blut will ich machen, Gebein will ich bilden,
6 Um ein Wesen entstehen zu lassen: Mensch sei sein Name.
7 Erschaffen will ich ein Wesen, den Menschen.
8 Ihm auferlegt sei der Dienst der Götter zu ihrer Erleichterung.

Wie beantwortet die Bibel die Frage warum der Mensch von Gott erschaffen wurde?

26 Lasst uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich. Sie sollen herrschen über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels, über das Vieh, über die ganze Erde und über alle Kriechtiere auf dem Land. 27 Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. (Gen 1)

Marduk erschafft sich die Menschen als seine Diener, die ihm Arbeit abnehmen sollen, damit er mehr Ruhe hat. Also einen Sklaven aus Fleisch und Blut. Auch scheint es, dass er sich gleich mehrere Menschen schafft um sofort Arbeitskräfte zur Verfügung zu haben und nicht erst ein einzelnes Paar.
Der Gott der Bibel dagegen erschafft sich mit dem Menschen ein Abbild von sich selbst, den er als Herrscher über die Welt einsetzt. Als Lebensraum bietet er ihm den Garten Eden an, von Frondienst für den göttlichen Schöpfer keine Spur. Hier also ein diametraler Gegensatz der beiden Schöpfungsberichte! Auch hier haben biblische Autoren nichts kopiert und übernommen.

Letzter Punkt soll die Betrachtung sein, wie der Mensch ins Dasein gerufen wurde. Im Enuma Elish findet sich dazu:

11 ‚Einer von ihren Brüdern soll ausgeliefert werden.
12 Dieser soll sterben, damit die Menschheit entsteht.
(…)
29 ‚Kingu war’s, der den Krieg erregt,
30 Tiâmat zur Revolte aufgereizt, den Kampf begonnen hat.‘
31 Als sie ihn gebunden hatten, brachten sie ihn vor Ea.
32 Sie ließen ihn seine Strafe erleiden, seine Adern durchschnitten sie.
33 Aus seinem Blute schuf er die Menschheit.

Damit die Menschheit das Licht der Welt erblickt muss der Gott Kingu sterben, um es möglich zu machen den Menschen aus seinem Blut zu schaffen. Muss in der Bibel auch jemand sein Leben lassen bzw. gefesselt ausbluten? Nein keineswegs:

7 Da formte Gott, der Herr, den Menschen aus Erde vom Ackerboden und blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen. 8 Dann legte Gott, der Herr, in Eden, im Osten, einen Garten an und setzte dorthin den Menschen, den er geformt hatte. (Gen 2)

Ohne irgendwelche Szenen von Gewalt oder Opfern wird der Mensch erschaffen. Nicht aus Blut sondern aus Lehm und dem Lebensatem Gottes. So ist einsichtig, dass auch hier zwei völlig verschiedene Ansichten der beiden Schöpfungsberichte vorliegen. Wieder keine Möglichkeit für die israelitischen Schreiber etwas von den Babyloniern zu kopieren.

Außerdem bleibt generell festzustellen, dass sich in den Texten der Tafeln 1, 4, 5 und 6 nicht ein einziger Vers findet, der starke Ähnlichkeit mit einer Aussage des Schöpfungsberichtes auf dem ersten Buch Mose hat oder mit einem übereinstimmt. Es kann ziemlich sicher angenommen werden, dass sich dies auch nicht ändern wird, wenn man die Tafeln 2, 3 und 7 mit dazu nimmt. Sollte hier ein derartiger Vers übersehen worden sein wird darum gebeten dies zu melden.

Hineininterpretierte Gemeinsamkeiten
Es gibt aber auch Argumente, die eine Übereinstimmung der beiden Texte nicht auf Ebene des eigentlichen Handlungsablaufs suchen, sondern behaupten, die Berichte würden sich in den theologischen Aussagen sehr änheln. Drei Beispiele sollen hier behandelt werden.

Auf http://ema.bonn.de ist folgende Behauptung zu finden:

Nach der Fertigstellung der Erde beschloß Marduk die Erschaffung des Menschen, aber nicht als Krönung, denn ihm (dem Menschen) „soll die Fronarbeit für die Götter auferlegt werden, zu deren Erleichterung“. Aus dem Blut des getöteten Kingu, einer der jungen Götter, der sich aber auf die Seite Tiamats gestellt hatte, formt Ea die Menschheit.
Also ist der Mensch auch in der Babylonischen Religion mit einer Art Erbsünde/Blutsünde belastet…. (siehe Altes Testament).

Auf den ersten Blick mag hier eine Übereinstimmung vorliegen. Doch bei näherer Betrachtung lassen sich klare Unterschiede ausmachen.

  1. Zuallererst ist die Gleichsetzung der in der Bibel beschriebenen Erbsünde und der „Sünde“ des Menschen im Enuma Elish sehr fragwürdig. Keine weitere Stelle des Enuma Elish geht der Frage nach, ob der Mensch ein sündiges Wesen ist, weil er aus dem Blut eines getöteten Gottes geschaffen wurde. Das wird auf dem angegebenen Link einfach behauptet.
  2. Der Mensch der Bibel ist nicht in Folge seiner Erschaffung sündig, sondern in Folge seines Handelns, das Verbot Gottes zu missachten. Oder anders formuliert: Der Mensch des Enuma Elish wäre von Anfang an unverschuldet sündig, der Mensch der Bibel war bei seiner Schöpfung sündlos und entschied sich durch freien Willen zur Sünde.

Um hier eine Übereinstimmung finden zu können muss in den Enuma Elish vieles hineininterpretiert werden und selbst dann ergeben sich in den Details Gegensätze, welche sich nicht lösen lassen.

Eine zweite angebliche Übereinstimmung wird auf religioustolerance.org gefunden. Die Parallele bestünde darin, dass der Gott der Bibel am siebten Tage ruhte

2 Am siebten Tag vollendete Gott das Werk, das er geschaffen hatte, und er ruhte am siebten Tag, nachdem er sein ganzes Werk vollbracht hatte. 3 Und Gott segnete den siebten Tag und erklärte ihn für heilig; denn an ihm ruhte Gott, nachdem er das ganze Werk der Schöpfung vollendet hatte.

und auch die Götter des Enuma Elish nach der Schöpfung des Menschen feiern. Doch auch hier fallen sofort Unterschiede auf:

  1. Die Gleichsetzung von ruhen und feiern kann in Frage gestellt werden.
  2. In der Bibel wird der siebte Tag der Woche generell heiliggesprochen und kehrt immer wieder. Die Feier im Enuma Elish dagegen ist ein einmaliges Ereignis, dass auf die Zukunft keinen Einfluss hat.
  3. Vom siebten Tag der Woche profitiert der Mensch der Bibel, da auch er an diesem Tag von seiner Arbeit ruhen soll. Der Mensch des Enuma Elish bekommt von der Feier der Götter nichts mit, sondern geht seinen Sklavenarbeiten nach.

Wenn überhaupt liegt also auch hier nur eine sehr oberflächliche Übereinstimmung vor, die sicherlich nicht die Behauptung rechtfertigt, der eine Text sei vom anderen kopiert worden.

Eine letzte interpretierte Parallele wurde auf einer englischsprachigen Seite gefunden, deren Link leider verloren gegangen ist. Die Argumentation darauf lautete: Der Gott der Bibel erschuf die Welt in sechs Tagen. Im Enuma Elish gibt es von Beginn bis zur Erschaffung des Menschen sechs Generationen von Göttern. Das Motiv der sechs Tage/Generationen/Zeiträume ist also entliehen. Diese Behauptung lässt sich zwar nicht direkt widerlegen, aber ob das Motiv der Sechs nun wirklich eine Verbindung der beiden Berichte beweisen kann ist sicher fragwürdig.

Schluss
Nach dem Vergleich der beiden Berichte konnte keine Ähnlichkeit in dem Maße nachgewiesen werden, welche den Schluss zulassen würde, das Buch Genesis sei zum großen Teil aus dem Babylonischen Schöpfungsmythos abgeschrieben worden. Vielmehr fallen deutliche Unterschiede zwischen den beiden Texten auf.